Autsch! „Ich muss irgendwo am Kopf bluten!“, dachte sie panisch, denn ein Auge war ganz verkrustet. Mit dem anderen konnte sie nur schwach unscharfe Konturen erkennen. Der laute Aufprall des Falls hallte ihr noch in den Ohren nach, begleitet von einem eigenartigen Wummern. Sie lag mitten auf dem Stoppelfeld und konnte sich nicht rühren.

Familienmitglieder und Freunde hatten sie in den letzten Jahren nach und nach alleine hier zurückgelassen. Monatelange hatte sie vor sich hin gebrütet, bis in ihr der Entschluss gereift war, selbst auch über die Brücke zu gehen. Vielleicht war es ja wahr, was man über das andere Ende spekulierte, dass man sich in gesundem Zustand wiedersehen würde.

An einem Herbsttag war es soweit. Nach einem heftigen Regenguss erschien vor ihr ein Regenbogen am Himmel. Sie lenkte ihr Auto direkt darauf zu und wie in einem Traum wanderte die Lichterscheinung nicht von ihr weg. Am Fuße des Regenbogens angekommen, stieg sie höchst nervös aus dem Wagen. Jetzt oder nie – das wusste sie. Sie hob einen Fuß und war erstaunt, dass sie festen Boden spürte. Schritt für Schritt stieg sie höher hinauf, vor Aufregung zitternd. Als sie endlich ganz oben angekommen war, wich die Nervosität aus ihrem Körper. Sie fühlte sich so leicht wie eine Feder und so unbeschwert wie ein kleines Kind. Doch was war das? Die leuchtenden Farben fingen an zu verblassten, wurden transparent und wie in ihren schlimmsten Albträumen stürzte sie hilflos in die Tiefe.

„Ein Wunder, dass sie das überlebt hat“ hörte sie einen Sanitäter zu seinem Kollegen sagen. „Die meisten, die gegen Brückenpfeiler prallen und heraus geschleudert werden, haben nicht so großes Glück wie sie“.

„Ich wollte doch nur über die Brücke gehen“ murmelte sie, aber das Motorengeräusch übertönte ihre schwache Stimme. Dann brauste der Rettungswagen los.

2018 51+52 | 365tageasatzaday

Regenbogen
transparent
bluten

So lauten die drei Worte für die abc-Etüden von Christiane. Gespendet wurden sie von dergl (Die Tintenkleckse sehen aus wie Vögel).