Der liebe Zeilenende wies mich in meinem letzten „Heute lese ich … “ Beitrag darauf hin, dass die – von mir kritisierte – Benjamin Blümchen Geschichte eben Freundschaft und Hilfsbereitschaft zum Thema habe. Und was soll ich sagen? Da hat er vermutlich recht. Ich war so abgelenkt von den fragwürdigen Wendungen des Elefanten-Hunde-Abenteuers, dass ich die Grundessenz der Aussage tatsächlich übersah.
Freundschaft und Hilfsbereitschaft – zwei wunderbare Möglichkeiten, eine Verbindung zu einem anderen Menschen (oder einem Tier) herzustellen.
Freunde sind oder sollten dazu da sein, einander zu helfen. Oft genug hört man den Satz, dass man die wahren Freunde daran erkennt, dass sie auch in schlechten Zeiten zu einem stehen. Hilfsbereitschaft kommt sowohl unter Freunden vor (oder sollte es zumindest) als auch unter einander gänzlich Fremden. Sie ist manchmal der (kitschig schöne) Beginn einer neuen Freundschaft. Oder aber nur der kurze Moment, der einen durch den Tag trägt, ein Lächeln auf die Lippen zaubert und die Welt für kurze Zeit freundlicher und netter erscheinen lässt.
Mit meinen Kindern lese ich gerade ein recht amüsantes Buch, das diese beiden Themen so plakativ hinausposaunt, dass auch ich sie heraus lesen kann.
Grummelbär will schlafen
Das Buch von Marni McGee und Sean Julian, das im Original „Bear can’t sleep“ heißt und 2016 auf Deutsch im Kinder- und Jugendbuch Verlag Kerle erschien, handelt von den Tieren des Waldes, die sich auf den Winter vorbereiten und natürlich einem grummeligen Bären.
Während Fuchs, Eule, Eichhorn und Maus fleißig Vorräte anlegen, um die kalte Jahreszeit zu überstehen, gelingt es Fleck, dem Hasen, mit seiner tölpelhaften Art allen auf die Nerven zu gehen. Seine Hilfe ist nicht erwünscht, da sie letztendlich immer nur zu Chaos führt. Das geschäftige Treiben der Tiere wird durch einen vorbeikommenden, schlecht gelaunten Bären jäh unterbrochen. Fleck denkt, dass der Bär Hunger haben könnte und macht sich furchtlos auf den Weg zur Bärenhöhle – bewaffnet mit einem ganzen Stapel Blaubeermarmelade-Zwiebel-Broten.
Nach einer kurzen Slapstick-Einlage kommt der Hase mit nur einem einzigen Brötchen bei der Bärenhöhle an. Dort hört er wie der Bär darüber jammert, dass er vor Kälte nicht schlafen kann. Das wiederum lässt Fleck in der Nacht aus Mitgefühl und Sorge kein Auge zutun. Schließlich „borgt“ er sich von den anderen Waldtieren, während sie schlafen, ein paar Sachen aus und näht daraus eine große Patchwork-Decke. Als die Tiere am nächsten Morgen entdecken, dass der Hase ihnen einfach Kleidungsstücke weggenommen hat („Meine Unterhose!“ klagt die Maus), schimpfen sie mit Fleck.
Der Lärm ruft den Bären auf den Plan, oder vielmehr die Lichtung. Er packt den Fuchs am Kragen und brüllt alle an, dass sie endlich ruhig sein sollen. Der mutige Fleck entschuldigt sich beim Bären im Namen der Tiere und zeigt ihm das Geschenk, die Decke, die von allen gemeinsam stammt (auch wenn sie nicht ganz freiwillig dazu beigetragen haben).
Der Bär ist perplex und lässt den Fuchs laufen. Gerührt nimmt er die Decke entgegen. Der Mut und die selbstlose Hilfsbereitschaft des kleinen Hasen führen letztendlich dazu, dass der Bär endlich schlafen kann und sie alle Freunde werden.
Fazit
Uns gefällt das Buch sehr gut. Der Hase ist liebenswert, in der scheinbar harten Schale des Bären steckt ein weiches, frierendes Herz und somit ein Charakter, in den ich mich gut einfühlen kann (ebenso wie in den ungeschickten Hasen – aber das will ich jetzt nicht näher ausführen). Die lustigen Bilder machen das Buch auch, aber nicht nur für die Kinder kurzweilig und ausgesprochen unterhaltsam.
Der einzige Wermutstropfen ist in diesem Falle nicht, dass die Waldtiere recht opportunistisch handeln und sich nur zu gerne und etwas feige vom kleinen Hasen, den sie gerade noch beschimpft haben, retten lassen. Darüber schaue ich bei diesem Buch (völlig subjektiv, aber ) großzügig hinweg, da der Zorn des Bären so plötzlich über sie hereinbricht, dass schweigendes Hinnehmen der Geschehnisse sehr real anmutet. Das wirklich Gefährliche an dem Buch ist, dass man sich daraus vor allem das Gegrummel abschaut.
„Ruhe da draußen! Sonst könnt ihr was erleben! […] Hatte ich nicht gesagt, ihr sollt ruhig sein!?„
schallt es bei uns jetzt gelegentlich durch das Haus. Zum Glück weiß ich, dass E ohnedies ein sehr hilfsbereites Herz hat und nur gerade das Buch nacherzählt. Man könnte die drei Sätze natürlich auch weglassen (allerdings sollte so eine Zensur eine konzertierte Aktion sein, gemeinsam mit dem Vorlesepartner, sonst wird man dann womöglich von einem dreijährigen Dreikäsehoch energisch darauf hingewiesen, dass Sätze nicht oder falsch vorgelesen werden: „Nein, es sagt nicht ‚Seid bitte ruhig, ich will schlafen‘, sondern er schrie ‚Ruhe da draußen! Sonst könnt ihr was erleben!'“ )
Wortgeflumselkritzelkram schreibt jede Woche über ein Buch, das sie gerade liest („Heute lese ich …„) und ich mache (derzeit vor allem mit Eindrücken über Kinderbücher) mit.
Inzwischen beteiligen sich bei „Heute lese ich …“ auch
Michaela von Buecherlogie
Regine von Regenbogen und Freudentränen
Veronika von vrojongliert
und Tarlucy
Ich habe mir seit deiner kritischen Analyse von Benjamin Blümchen ja auch so weiter meine Gedanken gemacht. Und denke, dass das großzügige Hinnehmen solcher Stellen die angemessene Begründung ist. Es löst gewisse Konflikte bei Benjamin zwar nicht auf, aber in dem vorliegenden Fall sehe ich es so: Als kleines Kind hast du ein begrenztes Repertoire an Verhaltensweisen und du kennst von Erwachsenen auch nur ein begrenztes Repertoire. Wer schreit in der Gegenwart von kleinen Kindern schon wütend herum (außer die Mama oder der Papa hin und wieder)? Kinder lernen damit ihr Repertoire bekannter Verhaltensweisen zu erweitern … Und ja, auch auszuprobieren. In einem „harmlosen“ Rahmen. Denn wenn der Bär brüllt, ist das eben der Bär. Wenn Mama brüllt kommt die sehr intime Komponente „Oh, es ist Mama“ hinzu.
Und ja, ich finde es gut, wenn Kinder auch unangemessene Verhaltensweisen kennenlernen … Und ausprobieren. Ein Gespür für sozial erwünschtes Verhalten haben sie schon, selbst wenn sie es noch nicht internalisiert haben, sich dann entsprechend zu verhalten.
Daraus hin und wieder auszubrechen ist für meine Begriffe das, was unter „Horizont erweitern“ fällt und hilft, irgendwann fremdes Verhalten zu verstehen. Dafür braucht man immerhin eigene Referenzpunkte. 🙂
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Oh ja, das Gespür haben sie und sie reizen ihre neuen Verhaltensweisen bis zur aeussersten Grenze aus. Da kommen dann wieder die Eltern mit ihren Erziehungsversuchen ins Spiel. 😉 Spielend lernen für alle 🙂
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