lese ich bei Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“, einem äußerst lesenswerten, wenn auch sehr bedrückenden Buch über die Alzheimererkrankung seines Vaters.

Catull, die ewige Nacht und seine Lesbia. Ein Liebeslied. Und doch hat der Gedanke einer  unendlich langen Nacht etwas Bedrohliches. Die Gedanken, welche untertags noch erträglich waren, wachsen in ihrer Dimension zu riesenhaften Schatten an, kriechen im fahlen Mondenschein oder dem gelblichen Lichtkegel einer Straßenlaterne über die Zimmerwände bis ans Bett heran.

Insomnia.

Statt den gleichmäßigen, tiefen Atemzügen eines friedlich Schlummernden sind es Gewehrsalven, die durch das Hirn rattern. Nein, nicht Gewehrsalven, Gott sei Dank! Peng, peng, peng – definitiv eine Halbautomatik. Wie die Anschläge einer Schreibmaschine, einer richtig alten, mechanischen Schreibmaschine jagen Wortfetzen hinter den Augenlidern vorüber. Der Körper erschöpft, der Geist, bis gestern so unglaublich leer, dass das gegenwärtige Gedränge seltsam (befremdlich) anmutet.

Aber das Leben ist ein stetes Auf und Ab. Mein Leben ist ein stetes Auf und Ab. Am Ende der ewigen Nacht wünschte ich, es wäre noch etwas davon übrig, damit ich ein paar Stunden Schlaf bekäme.

Die Angst, was mit uns passiert, wenn wir alt werden, die Sorge, wie wir es schaffen werden, mit unseren Eltern, Großeltern umzugehen, wenn sie dereinst pflegebedürftig sind, sie werden mich wohl auch die nächste Nacht und noch ein paar Nächte danach wach halten. Und dann eines Tages wird es soweit sein. Wenn nach der Nacht kein Morgen mehr graut, wenn das Licht des Tages vom dichten Schneetreiben verschluckt und die Landschaft in dieselbe Düsternis getaucht wird wie der Verstand von der Decke der Lebensjahre. Wenn man eben jene Decke zum vermeintlichen Schutz noch näher an sich heranzieht, sich darin noch fester einwickelt, dann ist der Abend gekommen, an dem wir die Augen schließen und nie wieder öffnen wollen.

Dort sieht man in ihm die ganze Person. Ein einfacher Satz, in seiner Tiefe kaum zu erfassen. Wir sind mehr als nur Namen, Träume, Albträume, Sorgen und aufgeblähte Ängste, die uns anhängen, nicht schlafen lassen oder gar vor sich her treiben. Jeder ist ein Gewordener. Von Anfang an bis zum Moment der Aufnahme (im Pflegeheim) prägt unser Weg uns, wie wir denken, fühlen, handeln. Von Anfang an bis zum Moment der Abgabe (unseres Lebens … an der Himmelspforte möchte ich fröhlich hinterher schicken, aber mein Lachen ist gefroren und für Tränen reicht die Kraft nicht mehr aus), glauben wir, der Ausschnitt unserer Welt sei die ganze Welt, das, was alles bestimmt, in seinem Sog mitreißt.

Sind wir erst ausgestiegen aus dem Karussell, erkennen wir endlich, wie todernst das Spiel war, weil die einzigen Mitspieler, die es gab, wir selbst waren.