Wikipedia fällt zu Hirngespinst nicht viel mehr ein als auf Luftschlösser zu verweisen. Doch während ein Gespinst sicherlich etwas aufwendiger Erarbeitetes ist, kann ein Hirngespinst auch nur ein kurzes Trugbild sein. Während an der Errichtung eines Luftschlosses tatsächlich einiges an architektonischer Denkarbeit, Zeit und Muße (oder Wahn) vonnöten ist.

Dass gerade dem Gespinst das zweite n abhanden gekommen ist, mutet seltsam an. Aus dem mittelhochdeutschen gespunst wurde ein Gespinst, alle anderen Spinnereien behalten aber den Doppelkonsonanten. Auch beim Spannen sind es zwei n und die bleiben es auch beim Gespann, das halt kein Gespanst oder Gespenst ist. Das Gespenst leitet sich tatsächlich von spannen, mhd. spanan, anlocken her. Widerspenstige kann man also nicht locken, während die abspenstig Gewordenen jene sind, die sich weglocken ließen.

Vielleicht ist der Verlust des zweiten n im Gespinst ja unumgänglich, um es vom Wienerischen:

Geh, spinnst du jetzt?!“ zu unterscheiden?

Während vonnöten nicht nur zusammengeschrieben wird, sondern auch zwei n aufweist, die hier allerdings einfach nur aufeinander treffen, ist das Unumgängliche ein schönes Beispiel für ein deutsches Wort mit „unum„. Doch das lateinische unum, ein, hat nicht viel damit zu tun. Ebenso wenig beim Unumkehrbaren, während wir uns dem Einkehren erst widmen werden, wenn wir hungrig, durstig und erschöpft von der Wanderung nach einer Pause verlangen.

Ge-spenst, Ge-spinst, an-locken, ver-locken: Sie alle sind der Präfigierung zu verdanken. Wer sich mit der Theorie der Wortbildung mittels Voranstellen von einem oder mehreren Präfixen nicht auseinandersetzen will, der kann getrost sagen, dass die linguistischen Theorien der Präfixbildung wohl nicht zur Allgemeinbildung zu rechnen und damit gerade einmal Orchideenfächerliebhaberei sein dürften.

Ebenso wie die Erkenntnis, dass Präfixe zu den unfreien Morphemen zählen. Die sind in freier Wildbahn also nur im Rudel anzutreffen. Genauso wie die „Freunde“ aus digital gesponnenen Netzwerken.

Wer mit Netzwerk noch Spinnen assoziiert ist entweder Zoologe oder nicht in der Gegenwart angekommen, ein biederer Typ von Vorgestern.

Ums Anbiedern (auch eine Präfigierung ;)) sollte es heute eigentlich gehen, aber der Weg hierher war nicht geradlinig. Genausowenig wie es die Schleichwege sind, die zum Anbiedern verwendet werden.

Bieder hatte als bider einst die Bedeutung brauchbar, nützlich. Doch etwas, das nur brauchbar ist, ist nicht unbedingt beliebt oder in Mode. Bieder erhielt neben der Zuschreibung als aufrichtig und anständig vor allem den Beigeschmack des langweiligen Braven, Naiven, Einfältigem.

Anbiedern zielt aber vor allem auf das Nützliche ab und leitet sich auch vom althochdeutschen Wort für bedürfen, brauchen her. Man braucht nur die richtigen Freunde (an den richtigen Schaltstellen zur richtigen Zeit). Sie sind einem nützlich.

Das Wort anbiedern, in dem wenigstens noch ein bisschen Kunst (Biedermeier) mitklingt, ist neben einschmeicheln wohl noch das schönste und freundlichste für die Tat dahinter. Wollen wir doch einschleimen, Speichel lecken bis hin zum in den Arsch kriechen erst gar nicht in den Mund nehmen. Pfui!

Schlecht wird einem trotzdem schnell, wenn man das Anbiedern mancher Zeitgenossen an die (vermeintlich?) Schönen, Reichen und Mächtigen beobachtet.

Aus „Wer bist du?“ ist längst „Wen kennst du?“ geworden. Eigentlich traurig, außer für Betreiber sozialer Netzwerke. Und mir liegt damit auch schon wieder das nächste besondere Wort auf der Zungenspitze: Die Unfrage. Aber davon vielleicht nächstes Mal mehr.