Unterwegs aufgeschnappt: „Wer bei rechtem Verstand ist, kann nicht wollen, dass noch mehr Ausländer ins Land kommen.“ Der Begriff des rechten Verstandes bekommt plötzlich eine recht(e) politische Färbung.

In der U-Bahn spielt ein dickerer, älterer Mann auf der Gitarre „I did it my way„. Der Text kommt mir Spanisch vor, aber der Musikant sieht nicht aus, wie man sich den typischen Spanier vorstellt. Die Sprache habe ich vor langer Zeit gelernt und verstehe doch und auch daher kaum ein Wort. Ich beschließe, dass es Rumänisch sein könnte. Einmal dachte eine Kollegin im Büro, als sie einen anderen Kollegen Rumänisch sprechen hörte, es wäre Spanisch. Eigentlich ist es ganz egal. Ich lausche der Melodie und singe im Geiste mit. Musik verbindet auch ohne Vokabel.

Vormittags räume ich den Schrank eines rumänischen Kollegen aus, der schon vor Jahren verstorben ist. Der bevorstehende Umzug führt mich in Gedanken zurück in die Vergangenheit. Das Leben geht weiter, heißt es. Aber eben nicht für alle. Nur ein einziges Mal, ganz am Schluss, als klar war, dass er nicht siegen konnte, beklagte er sich: „Und jetzt habe ich diese Scheißkrankheit„. Ja, das war sie wirklich. Jahre der Anstrengung in einem kleinen Karton. Dieser Tag fühlt sich so an, wie er aussieht: Schemenhaft grau, verschwommen, grausam.

Sehen junge Frauen heutzutage eigentlich alle gleich aus? Nein, es liegt wohl an mir. Mein Hirn speichert nur grobe Strukturen: Langes, glattes Haar und ein Coffee to go-Becher in der Hand. In der einen, in der anderen das Smartphone. Selbstverständlich. Ein, zwei Menschen mit echten Büchern in der U-Bahn gesehen. Fast schon retro.

Zum Aussehen berufen. Beruf und Aussehen gehen oft Hand in Hand. Man setzt wortlose Statements allen anderen ins Gesicht. Aber in Wien schaut dir sowieso niemand in die Augen. Augen zu und durch. Manchmal auch besser die Nase.

Eine vergessene Einkaufstasche unter dem Tisch im Zug vor mir. Sieht die gefährlich aus? Nein. Die U-Bahnbombe in England war aber auch in einem einfachen Plastiksackerl. Warnhinweise wären definitiv kontraproduktiv und sind nicht zu erwarten. Vielleicht setze ich mich doch lieber ein paar Reihen weiter nach hinten. Ich möchte ja bald bei meinen Kindern sein.

In welcher Welt lebe ich eigentlich?


Musikalische Vorschläge zu diesem Beitrag, je nach eigener Laune

Beschwingt

Nine to Five (Dolly Parton)

oder etwas ruhiger, melancholischer:  

Mad World (Gary Jules)