Tante Tex rief dazu auf, andere (natürlich mit ausreichend Respekt) zu belauschen und das Gehörte dann auch noch zu einem Bild zu verweben. Sozusagen. Ein freundlicher Lauschangriff.

Ich bin ja offen gestanden mehr der Typ, der mit zwei linken Händen und einem nicht einwandfreien Gehör durch die Gegend tranced (das Wort beschreibt wohl am besten meinen Zustand, wenn ich morgens vor und nachmittags nach der Arbeit im öffentlichen Raum unterwegs bin), und die, die gewöhnlich eine säuerliche Miene zieht, wenn sich im Zug oder in der U-Bahn ein paar Quasseltanten, Welterklärer, Plaudertaschen oder Lauttelefonierer in unmittelbare Nähe setzen.

Noch nicht einmal pädagogisch wertvollen Mütter-Töchter Gesprächen kann ich etwas abgewinnen, wenn ich die Sprechenden nicht persönlich kenne. Nur einmal – vor vielen Jahren – habe ich, gemeinsam mit dem halben Waggon, völlig fasziniert einem Mann gelauscht, der berichtete, er sei ein verstoßener Adelsspross, würde verfolgt und sein Essen von seinen Feinden mit Sicherheit heimlich vergiftet. An diesen jungen Herren denke ich noch heute.

Belauschen ist keine leichte Aufgabe für mich, sowohl akustisch als auch nervlich.

Aber – und natürlich kommt jetzt ein Aber – Mitte der Woche schnappte ich tatsächlich ein paar Gesprächsfetzen auf, bei denen ich nicht nicht zuhören konnte. Hier also zwei kurze Geschichten, die in diesem Fall vor allem das Leben selbst schrieb:

Hesse und der wortlose Moment

Ein Mann im Trachtenanzug betrat den U-Bahnwaggon und setzte sich zu zwei jungen Frauen. Die beiden hatten sich eben noch über ihre nähere Zukunft unterhalten und wie es wohl wäre, wenn die eine für die andere arbeiten würde. Die zukünftige Chefin konnte sich die Ausflüchte jedoch ersparen, da die Aufmerksamkeit der Freundin nun ganz dem Dandy galt.

Einen Hut auf dem Kopf, ein Buch in der Hand, schaute er aus dem Fenster und sah doch nur sich selbst. Im Fernsterglas spiegelte sich sein Gesicht. Es war überraschend jung für die Aufmachung. Hermann Hesse stand auf dem Cover des Buches, aber der Titel war nicht zu sehen. Seine linke Hand verdeckte die Schrift. Die Möchtegern-Angestellte hob die Augenbrauen. Ihre Lippen formten ein stummes „Wow!“ und mit einem breiten Grinsen, das sich gar nicht mehr abwaschen ließ, starrte sie gebannt auf den Buchdeckel. Welches Buch war es nur? Sie wartete, legte den Kopf erst nach links, dann nach rechts und wieder nach links, aber es war als wollten der Mann und sein Buch für sich bleiben – unerkannt.

Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte leicht den Kopf, weil es ihr einfach nicht gelingen wollte, den Titel der Geschichte zu erspähen, in die er sich vertieft hatte.

Stephansplatz. Erst jetzt sah der Trachtenträger kurz auf, bemerkte die interessierten Blicke der Frau und ein Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht. Er öffnete den Mund als wolle er etwas sagen, doch da wurde sie schon von ihrer Freundin weggezogen Richtung Tür. „Ich muss leider schon aussteigen …“ murmelte sie noch, schüttelte bedauernd den Kopf, aber ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick.

Dann schlossen sich die Türen des Waggons und die U-Bahn fuhr weiter mit Hesse und Tracht hinein in den Tunnel.

Hassen und die wiedergefundene Sprache

Dann bekommen alle von mir einen Zettel. Das nennt man Bewerbung. Und dann müssen sie sich mit mir auseinandersetzen! Nicht ich mich mit denen, sondern die müssen sich mit mir beschäftigen!

Er lehnte mit dem Kopf auf der Schulter seiner Freundin und legte eine kurze Pause in seinem Monolog ein.

Die Kündigung vor einem Jahr hatte ihn in seinen Grundfesten erschüttert. Die Worte des Chefs, dass es nicht an ihm liege, sondern am Umfeld und es natürlich sehr bedauerlich wäre, aber die Entscheidung aus Kostengründen nun einmal gefallen sei, hallten ihm in den Ohren während er wortlos zu seinem Arbeitsplatz zurückkehrte, ein paar persönliche Dinge aus dem Schreibtisch nahm und schweigend das Gebäude verließ.

Er hatte sich nicht einmal von den anderen verabschiedet. Aus seiner gewöhnlichen Schweigsamkeit war eine völlige Stummheit geworden. Sie dauerte tagelang. So tief saß der Schock. Er hatte das Gefühl zu fallen, tiefer und immer tiefer,  ins Bodenlose. Er bewarb sich da und dort, aber überall gab es nur Absagen, wenn überhaupt. Mit einem „Tut mir leid, leider nicht“ konnte er noch leben. Es schmerzte anfangs, aber es war irgendwie zu überwinden. Ignoriert zu werden, das tat richtig weh. Und es schürte seinen Hass auf die Firmen, die bösen Firmen. Unter den Füßen kein Boden – ewiges Fallen.

Doch dann passierte etwas, mit dem er nie gerechnet hätte. Er verliebte sich. Und statt immer nur vor dem Computer zu sitzen, saß er plötzlich zusammen mit seiner Freundin in Cafés und auf Parkbänken und redete und redete. Im Bewerbungstraining schlug der Coach dann vor, doch auch in anderen Bereichen nach einer Beschäftigung zu suchen, zum Beispiel im Verkauf. Da könne er sein Talent, mit anderen ohne Scheu zu sprechen, ganz wunderbar nützen.

Ich habe ja gar nie gewusst, dass ich so gut reden kann.“

Er strahlte seine Freundin an, die noch kein einziges Wort gesagt hatte. Sie saß nur da und starrte auf den Aufkleber gegenüber an der Wand: „Hammer für Notausstieg

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