Wortgeflumselkritzelkram schreibt jede Woche über ein Buch, das sie gerade liest („Heute lese ich …„) und ich mache mit:
Vorgeschichte
Lange Zeit konnten wir ihm ausweichen, ihn weiträumig umgehen, ihn einfach übersehen. Doch dann wurden wir Stammgast in der örtlichen Bücherei und nun ist er Stammgast bei uns zu Hause – der große, sprechende Elefant, der Zuckerstückchen verschlingend und laut tröröötend durch die Weltgeschichte stapft.
Die Rede ist natürlich von Benjamin Blümchen. Und unsere Tochter liebt ihn. Wieso sie das tut? Das ist allerdings nur ihr klar.
Es ist zum Haare raufen. Angesichts der Tatsache, dass ich mittlerweile ohnedies schon an ungefähr 5 von 7 Tagen einen bad hair day habe, verbessern die oft haarsträubenden Geschichten dieses Blümchens mein Erscheinungsbild nicht wirklich. Vielen Dank dafür Benjamin! Die letzte Geschichte hat mich wirklich wieder einige Haare gekostet und von den zurückgebliebenen das eine oder andere ergrauen lassen.
Die Story ist folgende (ACHTUNG – wer sich unbedingt von Benjamin Blümchens Abenteuern beim Lesen überraschen lassen will, sollte jetzt das nächste Kapitel lang die Augen fest geschlossen halten!)
Die Geschichte: Benjamin Blümchen und der kleine Hund
Eines Abends findet Benjamin einen kleinen Hund, der am Tor des Zoos festgebunden ist. Hilfsbereit wie der Elefant ist, nimmt er den kleinen mit in sein Elefantenhaus. Als er am nächsten Morgen mit dem Hund in der Stadt Gassi geht, begegnet er einem kleinen Mädchen, das den Hund sofort mag. Als Benjamin vorschlägt, sie könne ihn im Zoo gerne besuchen kommen, meint das Mädchen traurig, dass sie kein Geld für den Eintritt habe, woraufhin Benjamin ihr verrät, dass es ein Loch im Zaun gibt, durch welches sie ohne zu bezahlen in den Zoo schlüpfen könne.
Auf der Gassirunde begegnen sie dann noch dem Herrn Bürgermeister, der sogleich vom Hund gebissen wird. Wütend erklärt der Politiker, dass Hunde im Zoo nicht erlaubt sind und das Fundtier ins Tierheim zu bringen sei.
Bald schon kommt das Mädchen auf dem Schleichweg in den Zoo, um mit dem Hund zu spielen. Sie verplappert sich und Benjamin erfährt, dass sie es war, die den Kleinen am Tor festgebunden hatte, nachdem ihre Oma, die Hundebesitzerin, ins Spital gebracht worden war. Während Benjamin und das Mädchen besagte Oma im Krankenhaus besuchen, holt der Hundefänger den Hund im Zoo ab und bringt ihn ins Tierheim! (dramatischer Höhepunkt)
Carla Columna erfährt von der ganzen Geschichte und veröffentlicht einen fingierten Aufruf des Bürgermeisters an alle Menschen, die ein Herz für Tiere haben. Der Politiker tobt als er den falschen Brief in der Zeitung liest und eilt sofort zum Tierheim, wo er von den versammelten Tierfreunden herzlichst empfangen und bejubelt wird. Angesichts des Drucks der Öffentlichkeit und der Hoffnung, bei der nächsten Wahl mit seiner (angeblichen) Tierliebe punkten zu können, gibt er nach. Seit damals sind alle Tiere im Zoo von Neustadt willkommen.
Unverantwortlich! Unethisch! (W)Uff!
Zunächst freut es mich natürlich, dass die Liebe zum Tier gesiegt hat. Das wird zumindest am Ende vermittelt, obwohl mir nicht klar ist, was mit dem armen Hündchen eigentlich weiter passiert – in einem Film wäre so ein offenes Ende jedenfalls ein toller Aufhänger für den zweiten Teil.
Dann aber kommen die vielen Abers:
Das generelle Aber: Einmal ganz abgesehen davon, dass ich Benjamins Vorliebe für Zucker in einem Kinderbuch für mehr als entbehrlich halte, erscheint mir die Darstellung eines Zootieres als weitestgehend frei und uneingeschränkt handelnd als Hohn. Da wird doch tatsächlich das Leben eines Elefanten im Zoo als weniger eingeschränkt dargestellt als jenes eines Hundes als Haustier! Auf manch ein armes Schwein, Verzeihung, armen Hund trifft das sicherlich zu, aber ich glaube dennoch, dass ein der Wildnis entrissener Elefant im Zoo deutlich weniger glücklich ist als ein Hund, der sich als Teil einer Familie empfindet oder der wahrlich beste Freund seines Herrchens/Frauchens ist.
Das ehrliche Aber: In der Geschichte wird nicht nur ein Kind dazu aufgefordert, sich an der Zookasse vorbei zu schummeln, es wird auch die journalistische Berufsethik auf das Gröbste mißachtet – natürlich nur zu einem löblichen Zweck, aber immerhin. Heiligt der Zweck wirklich alle Mittel? Ein zu großes Thema für diesen kleinen Beitrag, aber es wird den vorlesenden Eltern mehrfach in diesem Kinderbuch um die Ohren gehaut, sozusagen.
Die Geschichte quillt über von tragischen (Tierschutz)themen: Das Aussetzen eines Tieres ist ein sehr grausamer Akt, der hier als die wahre Wohltat, die Rettung dargestellt wird. Manchmal ist das der Fall, manchmal ist es ein Todesurteil. Gleichzeitig wird die Problematik der Versorgung von Tieren angeschnitten, die ihr Herrchen/Frauchen verlieren, weil letzteres ins Spital muss oder ihm noch schlimmeres widerfährt.Und natürlich die überfüllen Tierheime, die vielen traurigen Einzelschicksale und ihre oft düstere Zukunft.
Selbst das vorgebliche Happy End finde ich sehr fragwürdig: Ab nun wären alle Tiere im Zoo willkommen heißt es. Das ist für aufrichtige Freude leider zu kurz gegriffen und eventuell sogar ein trojanisches Pferd: Wenn nun alle ihre Haustiere in den Zoo mitnehmen, wird der Stress für die Zootiere und die begleitenden Haustiere sicher nicht geringer. Aus verlässlichen Quellen weiß ich, dass selbst große Hunde vor bis zu 3m langen Tigern recht große Angst haben und solche Begegnungen lieber meiden.
Oder ist gar gemeint, dass alle Tiere in den Zoo gesteckt werden sollen?!
Resümee
Eine Benjamin Blümchen Geschichte, die sich durch die impliziten moralischen Aspekte sicherlich von anderen BB-Abenteuern abhebt und wohl nur auf kleine Kinder lustig wirkt. Die vorlesenden Erwachsenen stolpern selbst durch die Elefanten Geschichte wie der Elefant im Porzellanladen, auf jeden Fall kommen sie aus dem Staunen nicht heraus angesichts der vielen unethischen Wendungen. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen an Erklärungsversuchen, was richtig und was falsch, was gut und was böse, was erlaubt und was verboten ist, selbst wenn es einem guten Zweck dient.
Ich war ja fast ein wenig böse, dass du ausgerechnet Benjamin Blümchen der Ideologiekritik unterzogen hast, immerhin ist er einer meiner Helden. 😉
Die Zuckerstückchen des Herrn B. sind, vermute ich, eine Reminiszenz an unbeschwertere Zeiten. Als er erfunden wurde, hat man Zucker zwar für etwas besonderes, aber insgesamt nicht für etwas Schlimmes gehalten. Mittlerweile hat sich der Blick geändert, aber es gehört zur Figur. Daran lässt sich etwas über gesellschaftlichen Wertewandel ablesen. Das eigentlich Lustige daran ist, dass Herr B. dadurch plötzlich etwas unangepasst ist. Ich glaube nicht, dass er sich das jemals hätte träumen lassen. Herr B. der Bad Elefant. *g*
Ansonsten scheint mir das in der Tat aber eine der für Erwachsene problematischeren Geschichten zu sein (die Frage nach dem Für und Wider eines Zooologischen Gartens ist eine Grundsatzdebatte, die nur die Kommentarspalte sprengen würde). Da hat man sich das Kernthema genommen: „Freundschaft und Hilfsbereitschaft als Werte vermitteln“ und beschlossen „Wir müssen was mit kleinen Hundis machen, weil die sind so süß[sic!]“ Nachlässigkeit. Du wirst bessere Geschichten mit dem Herrn B. entdecken. *gg*
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Mein Verhältnis zum Herrn B ist tatsächlich ein gespaltenes: Die Geschichten sind schon irgendwie spannend, aber einige Stellen würde ich gerne umschreiben 😉
Und ja, der Hund ist süß 🙂
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Aber selbst Herr K. aus der S.-Straße hat sich von den Keksen abgewandt, so weit zumindest die Gerüchte, begegnet bin ihm lange nicht mehr. Da könnte Herr B doch auch mal einen Apfel oder eine Birne …
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Dass Herr K. seit Neuestem in der Sesamstraße und nicht bei Kafka … Lassen wir das. Das mit dem Krümelmonster ist eine Schande. 😉
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Hm, das Krümelmonster – Leibniz Kekse und Tierheime – so schließt sich auch der Kreis wieder. Vermutlich stecken Benjamin und das K unter einer Decke (wo sie Süßes naschen, mysteriöse Briefe schreiben und jede Menge Brösel machen)
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Tja, für die pädagogische correctness müssen eben Opfer gebracht werden.
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