Dazu hat Tante Tex mit ihrem aktuellen Story-Samstag-Thema aufgerufen. Als Weihnachtsfan ging ich die Weihnachtsabende durch, die ich schon erlebt habe und an die ich mich noch erinnern kann. Was fiel mir da nicht alles ein! Lauter schöne Erinnerungen. Kein Drama weit und breit … hm …bis, ja bis ich einen Spaziergang machte und am kleinen Theater am Eck vorbei kam …

shakespeare
Zwar kein Theater, aber die Geburtsstätte vieler Dramen

Das kleine Theater am Eck hatte seine beste Zeit wohl schon hinter sich. Nicht nur die Fassade bröckelte längst, auch die Laienschauspieler waren in die Jahre gekommen. Statt der radikalen Gesellschaftsschocker wie früher, führten sie jetzt klassische Stücke auf, Ödipus, Dantons Tod, Mutter Courage, gelegentlich einen Shakespeare. Das Stammpublikum konnte man fast an einer Hand abzählen. Seit langem war kein neues Gesicht mehr zu entdecken im Zuschauerraum, wenn der Vorhang aufging.

Die kleine Theatergruppe saß wieder einmal beisammen und dachte laut über die Zukunft des Theaters nach. „S“ hieß es. Scala war ja schon vergeben gewesen und „S“ beinhaltete nicht nur S-pielraum für Interpretation, es stand auch für S-chauspiel, S-tücke, S-zene. „S“ hätte die Szene für Schauspiel werden sollen. Damals, bei seiner Gründung, vor mehr als 30 Jahren. Heute hing der Buchstabe windschief über dem Eingang, wie ein untergehender Stern am Theaterhimmel.

Dirk, der als Intendant und Regisseur fungierte, und in seinem Broterwerb kurz vor der Pensionierung stand, sprach es aus, was alle dachten:

Weihnachten ist unsere letzte Chance. Wenn wir jetzt nicht die Kurve kriegen, dann sperren wir im neuen Jahr zu!

Theatralisch wie es sich für einen Theaterdirektor gehörte, schlug er mit der Faust auf den Tisch. Die anderen nickten betroffen und schwiegen. Erst nach einer Weile meinte Amalia, dass sie über ihre Firma vielleicht eine kleine Werbekampagne für das Theater machen könnte.

Wir brauchen Leute, die jedes Monat ins Theater gehen. Fixe Einnahmen, sonst wachsen uns die Mietkosten völlig über den Kopf

erinnerte Herbert, der Kassier, an das immer größer werdende Loch in der Vereinskasse.

Bei der dritten Flasche stilles Mineralwasser hatten sich die Schauspieler warm geredet. Die Ideen sprudelten nur so und gegen Mitternacht stießen sie auf den Kick-Off ihres neuen Werbeprojekts an: Xma-S-4U  war geboren.

Und am 23.12. schauen wir, ob das Christkind heuer den Leuten ausreichend Theaterkarten unter den Baum legen wird, damit uns das  S erhalten bleibt!“ Mit diesen hoffnungsfrohen Worten ging die Schauspielgruppe am frühen Morgen eines kalten Novembertages auseinander.

Am ersten Adventsonntag wurde eine halbseitige Anzeige in der Stadtzeitung geschaltet, um neue Abonnenten zu ködern. Außerdem hängte Amalia zusammen mit ihrem Ehemann ein selbst gemaltes Transparent am Theatergebäude auf. Dadurch wurden nicht nur die Stellen überdeckt, an denen der Putz schon fehlte, sondern auch eine Werbefläche genützt, die von der Hauptstraße aus einsehbar war. Sie beglückwünschte sich zu diesem genialen Schachzug und ging zufrieden nach Hause.

Der Dezember verging, doch das Telefon blieb meistens still. Niemand meldete sich, um ein Theaterkarten-Abo zu kaufen. Nur ein paar Kinder oder Jugendliche riefen gelegentlich Herbert an und spielten ihm ein ohrenbetäubendes Lied vor, wenn er abhob:

„I can’t stand it,  I know you planned it …“

Verärgert legte Herbert auf. Das war ihm in 50 Jahren noch nicht vorgekommen.

Am zweiten Adventsonntag, nachdem die zweite Annonce geschaltet war, rissen Vandalen das Plakat über dem Eingang herunter und zündeten es auf den Stiegen vor dem Theater an. Die verkohlten Überreste fand Dirk am nächsten Morgen.

Sabotage!“ wütete er bei dem eilig einberufenen Treffen der Theatergruppe. Die Flaute von Xma-S4U enttäuschte alle. Da hatten sie sich so einen hippen working title einfallen lassen und erhielten statt Nachfragen nur Belästigungen, wie es das S noch nicht einmal erlebt hatte als sie in den 80er Jahren die Publikumsbeschimpfung auf den Spielplan gesetzt hatten.

Ich verstehe nicht, warum unsere Werbung gar keinen positiven Effekt zeigt“ seufzte Amalia. „Mein Plakat war so schön lesbar, sogar von der Kreuzung aus. Bei jeder Rotphase hatten es die wartenden Autofahrer vor der Nase. Und in der Zeitung waren wir gleich auf Seite 3 …“ Grübelnd schüttelte sie den Kopf. Dirk blätterte in dem Wochenblatt, das er auf dem Weg hierher am Bahnhof mitgenommen hatte. Da war ja auch ihre Anzeige. In übergroßen Lettern stand gut lesbar:

Sichern Sie sich Ihr persönliches Drama im nächsten Jahr!

Nur bis Weihnachten 25% Nachlass auf alle Abos!

Jetzt

S-Abo-Tage!

Telefonische Bestellung unter …

Die S-Abo-Tage verhagelten der Theatergruppe letztendlich die Weihnachtsfreude. Aber wissen Sie was? Das Weihnachtsfest feierten die Schauspieler trotzdem, jeder für sich, im Rahmen seiner Familie.

Und am 24. Dezember rief doch noch jemand bei Herbert an. Er wollte zwar kein Abo, aber er war bereit, als Investor einzuspringen – unter einer Bedingung: Das Theater sollte auf Sabotage umgetauft werden.

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