Sprechen wir darüber. Hier haben Sie einen geschützten Rahmen.
Was bringt es mir, HIER darüber zu sprechen, wenn das echte Leben da draußen stattfindet und ganz anders verläuft?
Sprechen hilft.
Darüber zu sprechen, dass man nicht sprechen möchte, ist in gewisser Weise der Gipfel der Absurdität, aber wenn es erst Mal raus ist, ausgesprochen ist, kann man es auch nicht mehr zurücknehmen. So ist das mit dem ganzen Gerede. Man kann Dinge nicht ungesehen machen, hat man sie einmal erblickt, und man kann Worte nicht ungesagt machen, wenn sie erst ausgesprochen wurden. Wenn man Glück hat, verhallen sie ungehört. (Die drei Affen kommen mir in den Sinn: nicht sehen, nicht hören und vor allem nicht reden! Ich, ein Affe. Ich grinse vor mich hin. Ich schätze Affen sehr.)
Hm.
Schwierige Stunde und sooo unnötig. (Es wird Zeit, den Angriff zu starten, sagt das provozierende Kind in mir aka meine emotionale Seite).
Ja, finden Sie?
(Typisch Therapeut: Wirft einem das eben Gesagte als Frage zurück an den Kopf! Also, ausweichen oder einfach den Ball nicht aufnehmen. Was könnte ich antworten? Am besten ein inhaltsleeres „Mhm“)
Mhm
(Ha, soll er doch sehen, wohin er mit seiner Rückfragerei kommt. Auf jeden Fall nicht vorwärts. Hier verstellen ihm mein mächtiges Überich und die Erwachsene, die ich nie sein werde, die ich nur spielen kann, den Weg. Die gemimte Verantwortungsbewußte – mein Kind-Ich in seiner größten Rolle und viel zu weiten Klamotten. Nein, halt, die Kleidung ist überhaupt nicht weit. Leider. Sie ist nur einige Nummern größer als früher, aber ich fülle sie aus! Meine Rollen fülle ich nicht so gut aus. Ich habe spürbar zugenommen! Sogar meinem Chef fällt es auf, aber er denkt, es wäre gesünder für meinen Kreislauf. Zum Teufel mit dem Kreislauf, wenn die Psyche leidet!)
Wo sind Sie gerade in Gedanken?
(Noch immer in diesem doofen Zimmer einer Wiener Altbauwohnung. Das sollte ich sagen, aber ich schweige lieber. Woher kommt nur die ganze Wut? Vielleicht sollte ich ihn das einmal fragen, allerdings glaube ich die Antwort schon zu kennen. So etwas wie „Was denken Sie denn woher die Wut kommt?“ Da könnte ich zerspringen angesichts dieser eingespielten Frageantworten. Das wäre aber auch Mal eine neue Art, die Stunde zu sabotieren, indem man zerplatzt. Hihi! Wofür ich bezahle, das darf ich schließlich auch kaputtmachen. Na ja, eine dämliche Einstellung eigentlich.)
Sie lächeln?
Mhm. (Mehr fällt mir dazu wahrlich nicht ein. Wenn das Faktische festgestellt wird, kann man darauf nur mit einem „Ja, so ist es“ antworten, oder? Das ist für mich kein Anreiz ein weiteres Gespräch zu suchen. Aber ich könnte ihm einen Brocken hinwerfen, wie einem Hund, der auf sein Leckerli wartet, um Kunststücke vorzuzeigen)
Am liebsten würde ich gar nicht existieren. Oder genauer gesagt, am liebsten würde ich nur dann existieren, wenn ich für mich bleiben könnte. Aber mit Mitmenschen kann ich einfach nichts anfangen, außer Streit und dabei entgleitet mir dann die Kontrolle über die Situation. Eine unpassende Überreaktion ist die Folge. Dann starren mich alle an und ich würde am liebsten im Boden versinken vor Scham. Das war schon so als ich noch jung war, es ist noch immer so, jetzt wo ich mittleren Alters bin.
(Ein seltsames Brummen übertönt, was der bärtige Mann mit Brille antwortet. So sehr ich mich auch anstrenge, ich sehe nur, wie er die Lippen bewegt, aber alles, was ich höre, ist „brrrmmm …. brrrmmm … brrrmmm. Ich lehne mich vor, das Brummen wird immer lauter. Schnappe ich nun tatsächlich über? Eigentlich klingt das ganz lustig, „überzuschnappen“. Die Verschlüsse von Koffern können schnappen und Krokodile, aber ÜBERschnappen? Was soll das bedeuten? Oder hat es etwas mit Luft schnappen zu tun? Frische Luft schnappen, das könnte ich jetzt auch brauchen.
Ich setze mich erschrocken auf. Mein Wecker klingelt. Genaugenommen klingelt er nicht und es ist auch kein Wecker, sondern der Alarm meines Handies. Verwirrt starre ich auf die gegenüberliegende Wand und versuche mich zu orientieren. Mein Gesicht schmerzt. Ich taste mit der rechten Hand die Wange ab. Scheinbar habe ich da eine Druckstelle. Ach, ich bin über der Lektüre von Freuds gesammelten Werken eingeschlafen. Mal sehen, was mir der Abschnitt der Traumdeutung über die vergangene Nacht verrät …