Irgendwann einmal hatte sie gedacht, das Leben könne wie ein Regenbogen sein, bunt, schillernd und atemberaubend. Atemberaubend war aber nur die Steilheit ihres tiefen Falls. Für andere war das Leben vielleicht ein Spaziergang, sie ließ man bluten für jeden Fehler, den sie jemals gemacht hatte oder noch machen würde, vor allem aber für jene, die gar nicht ihre Schuld waren: Der trinkende Vater, die schlagende Mutter, die Schwester, deren Weg sie nicht folgen wollte, weil sie andere Interessen hatte.
Sie ließ die leere Flasche einfach auf den Boden fallen. Flecken am Teppich? Egal. Schwerfällig stand sie von der Couch auf und ging schwankend zum Kühlschrank, Wütend stieß sie mit dem Fuß das Spielzeug, das im Weg lag, zur Seite und brüllte: „Das hier ist ein Schweinestall! Räumt auf!“ Niemand hörte sie, denn es war Vormittag und Kinder und Mann außer Haus. Vielleicht hätte sie im Studium fleißiger sein sollen, aber da war immer dieser Rucksack voller Traumen von früher, den sie mitschleppen musste, und der nur leichter wurde, wenn sie getrunken hatte. Doch die Zeit, als es lustig war, mal „die Sau raus zu lassen“ war längst vorbei, der Wunsch sich zu betäuben war geblieben.
Sie hielt sich an der Kühlschranktür fest, um nicht umzufallen. Als sie sie endlich aufbekommen hatte – ziehen, nicht drücken, und dann noch auf den Beinen bleiben! Wie viel verlangte ihr dieses Scheißleben eigentlich noch ab? – fand sie darin nur einen verschimmelten Käse und einen Joghurtbecher, in dem sich oben der fast transparente Saft abgesetzt hatte. Igitt! Dann halt nur Wodka.
Das Telefon läutete. Sie hatte ihren Termin bei der Suchtberatung vergessen, den ihr Mann vereinbart hatte. Ach, sie brauchte keine Beratung, süchtig sein war doch gar nicht so schwer. Sie konnte gar nicht mehr aufhören über diesen Witz zu lachen.
Regenbogen
transparent
bluten
So lauten die drei Worte für die abc-Etüden von Christiane. Gespendet wurden sie von dergl (Die Tintenkleckse sehen aus wie Vögel).
Puh, der „Witz“ geht wirklich unter die Haut. Aber vielleicht kann man sich am Humor aus vielem herausziehen ….
LikeLike
Deine Etüde geht schon allein darum unter die Haut, weil sie die Lebenswirklichkeit von viel zu vielen Menschen wiedergibt. Nur wenige schaffen den Weg heraus.
LikeLike
Ich zucke zusammen, wenn ich das lese, und der Witz am Ende bleibt mir im Hals stecken. Sehr gut. Ich hoffe, sie kriegt noch rechtzeitig die Kurve, auch wenn es sich liest, als ob das noch dauern könnte …
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 1 Person
Ich kenne jemanden, die den auch machen könnte, eigentlich mehrere und gerade deshalb macht das m.mamas Beitrag so gut.
LikeGefällt 1 Person
Puh! Sehr lebensnah geschildert. Wir haben selbst so einen (tiefen) Fall bei der Schwester einer Freundin erlebt. Familie hilflos, überfordert und teilweise willig, immer wieder auf Forderungen nach Nachschub einzugehen, damit „die da draußen“ nichts merken. Obwohl alle Bescheid wussten. Es ist halt schwer, in die letzte Konsequenz zu gehen und zu sagen: nein, Schluss für uns! Obwohl es offensichtlich die einzige Lösung zu sein scheint, denn nur aus der tiefsten Tiefe ist wohl oft erst eine Umkehr möglich.
Ich wünsche, dass es viele schaffen, sich aus dieser Situation zu befreien!
Gruß Werner
LikeGefällt 1 Person
Ich wünsche Euch und besonders der Bekannten auch die Kraft, die Sucht zu überwinden.
Lieber Gruß, M. Mama
LikeGefällt 1 Person