Wow, ein Satz mit www und doch ganz ohne Internet. Die menschlichen Abgründe sind manchmal noch näher als der Bildschirm oder das Display, nämlich direkt in uns.

Sie gratulierte sich zu dem klingenden, inhaltsträchtigen Anfangssatz. Doch was nun? Wie weiter? Wann waren ihr Wissen und Werte eigentlich abhanden gekommen, verschwunden, versiegt?

Versiegt?

Sie überlegte. Man kann vereinsamen, sich verrennen, verirren, im Nirgendwo verlieren, überall verfolgt fühlen, aber kann man sich auch ver-siegen? Das Wort kommt von sinken – so macht es auch Sinn – und heißt manchmal auch verseigen oder verseihen. Aber ver-siegen? Ist das nicht mehr so wie ein Pyrrhussieg? Oder gar kein Sieg, sondern der Verzicht auf den Sieg, das Versinken des Sieges im Vergessen? Kann die Kampfeslust vertrocknen wie ein Tümpel in der Sommerhitze? Dann könnte am Ende statt einem Sieg das Versiegen stehen, der versteinerte Kampf – ewiger Krieg ohne Tat. Den Krieg sein lassen, wer keinen Krieg will, kriegt auch keinen. Aber das ist gar nicht so einfach, weil sich manch einer mit Herz und Seele dem Kämpfen verschrieben hat und sich nur lebendig fühlt, wenn er einen Gegner vor sich hat – und sei es das eigene Selbst.

Verschrieben ?

Nein, nicht schon wieder so ein Wort. „Das lasse ich einfach so stehen“ denkt sie und wundert sich, wann sich denn nun genau ihre Vernunft verabschiedet hatte,  verschwunden, verloren gegangen, versiegt oder gar gänzlich ausgestorben war. War sie für immer weg? Weggelaufen auf Wegen, die Wissenden weisen würden, wohin es gehen soll? Wann ist sie falsch abgebogen, hat sich in die Irre locken lassen? War sie in einem Labyrinth gefangen, aus dem es keinen Ausweg gab und musste nicht jedes Labyrinth besiegbar sein.

Zu viele Fragen.

Ob Wissende weitaus mehr weinen als die Unbedarften? Und warum Wissende trotzdem weitermachen, weiter fragen, forschen und finden wollen? Auf der Suche nach der Wahrheit wird die Wahrheit schon einmal zur Sucht. Angezogen und abgestoßen von dem, was tatsächlich geschieht. Manches lässt sich nicht mehr ungeschehen, ungesehen, ungelesen machen. Wissen wirkt weitaus mächtiger als wir wollen. Wenn Wissen zum Traumata wird, werden Träume zu Albträumen und treffen todsicher das Innerste.

Das Innerste also nach außen kehren, damit es abgehärtet wird. Nein, so würde sie das Leid auch nicht los. Aber war da überhaupt Leid? War es nicht viel mehr die Leere, die ihr wehtat? Die Seele spürt die Scherben schon bevor das halbleere Glas zerbrochen ist. Scherben schneiden schärfer als viele Klingen – ohne Vorwarnung, einfach so. Oder war es noch halbvoll gewesen das Glas? Umso schlimmer, dann müssen Scherben aufgehoben, getrocknet und zusammenfügt werden und man muss sich dabei noch davor hüten, zu ertrinken in dem ausgegossenen See der Verzweiflung. Austrinken, betrinken, ertrinken – voll bis obenhin wo nur Leere herrscht und danach? Noch mehr Leere. Der Sog nach unten ist ein wirbelnder, wankender Strudel. Dabei heißt es doch so schön: No easy way down. So ein Quatsch!

Suizidsüchtige suchen Schlupflöcher in Sicherungszäunen von Brücken, Aussichtsterrassen und Autobahnen, suchen nicht nur nächtens die Nähe zu Abgründen, magisch angezogen von allem, was abschrecken sollte. Paradox? Nein, nur normal – für Menschen mit Mängeln des Selbstwertes. Selbst der Wert eines Worts wiegt wesentlicher als  …

Ach, es hätte ein Spiel mit Alliterationen, Tautogrammen, Stilfiguren sein sollen und nun schwirrten nur böse Gedanken durch das Gehirn, dort wo der Geist doch blühen müsste, einer Narzisse gleich, wunderschön und selbstverliebt. Selbst ver-liebt. Verschaut in sich selbst. Selbst Hass kann da nicht ankommen dagegen, nur der Selbsthass ist ein  unangenehmer Mitbewohner, aber Stilfiguren – welch fragile Wesen.

Hund in Handtasche hechelt hitzebedingt herum. Ja, das ging und der Yorkshire Terrier gegenüber in der U-Bahn machte es leicht, einen Satz mit lauter gleichen Anfangsbuchstaben zu finden. Hunde helfen hohlem Hirn.

Ihre Station war erreicht. Sie stand auf, lächelte dem hechelnden Hund noch einmal zu und ging schweigend ihres Weges, ohne zu wissen, was sie am Ende erwarten würde.