Einige Monate nach Zs Geburt musste ich mit der Kleinen zu einer Ultraschalluntersuchung ins Krankenhaus. Schon die Terminvereinbarung stellte sich als schwierig heraus. Der Termin selbst machte dann Folgeaktivitäten notwendig, wodurch ich noch weitere kurze Einblicke in die Untiefen unseres modernen Gesundheitssystems bekam. Doch vor allem verhalf mir meine Stilldemenz an ihrem Gipfelpunkt zu einem „new personal low“. Aber von vorne:

Frühling: Terminvereinbarung

Gleich nach der Geburt wurde mir vom Kinderarzt empfohlen Z nach drei Monaten wegen einer Auffälligkeit an einem Organ nochmals untersuchen zu lassen. Da ich das Glück habe am Land zu wohnen, also inmitten von viel Grün, erfrischendem Güllegestank im Sommer und rußig braunen Kohlenmonoxidschwaden aus den Rauchfängen der lieblichen Einfamilienhäuser im Winter, habe ich auch das Privileg ohne Infrastruktur vor Ort auskommen zu dürfen. Sprich: Was immer ich brauche, ohne eigenes Auto geht fast gar nichts. Ich überlegte also, wo es möglich und für mich am bequemsten wäre, die Untersuchung machen zu lassen und entschied mich für das Krankenhaus meiner Geburtstadt X. Immerhin eine Universitätsklinik – für den eigenen Nachwuchs nur das Beste!

Ich rief auf der zuständigen Abteilung an und hatten mir in meinem Terminkalender schon meine Wunschtermine herausgesucht. Als Mutter zweier Kinder, von denen eines täglich pünktlich zum Kindergarten gebracht und auch wieder abgeholt werden muss, gibt es nur bestimmte verfügbare Zeitfenster. Der Anruf verlief dann in etwa so:

„Guten Tag. Ich brauche einen Ultraschallkontrolltermin für meine Tochter in ca. 3 Monaten.“ (also im Sommer)

Stimme am Telefon: „Den nächsten freien Termin habe ich im November. Sie kennen die Situation ja derzeit in den Ambulanzen.“

„Oh!“ Und, nein, kannte ich nicht.

Eine neuerliche  Einsparungswelle im Gesundheitswesen, die zwar das Staatsbudget auch nicht retten würde, aber Millionen Bürger die Gelegenheit gab, die länger gewordenen Wartezeiten ganz einfach mit dem Nachsinnen über unsere Politik zu füllen. Politische Bildung und angewandte Ökonomie für Späteinsteiger sozusagen. Die gravierenden Auswirkungen auf Otto und Ottilie Normalverbraucher waren bis dahin vor mir verborgen geblieben. Da ich trotz jeder Menge Beschwerden, vor allem in den letzten 9 Monaten der Schwangerschaft, einer Geburt und den anschließenden Wochenbettwohlfühlwochen nie eine Ambulanz benötigt hatte. Aber jetzt hatte mich die Realität unserer öffentlichen Krankenhäuser mit einem Schlag eingeholt. Mein müdes stilldementes Hirn schaltete in den Stand-by Modus. Was jetzt?

„Ich sollte aber im Sommer die Kontrolle machen lassen“ stammelte ich, hormonell bedingt fast den Tränen nah – ein Phänomen das dank Baby Blues (und ich meine leider nicht einen meiner Lieblingscomic Strips) zu dieser Zeit mehrfach am Tag zuschlug. Immerhin fing mein Hirn wieder an zu arbeiten und malte mir den Teufel an die Wand. Was, wenn ich die Untersuchung zu spät machen ließ und nicht alles in Ordnung war? Konnte eine verspätete Untersuchung die Gesundheit meines Kindes gefährden? Panik!

Die Dame am Telefon war so freundlich mir zu erklären, dass ich es in einem anderen Spital im selben Bundesland noch probieren könne. Dort wären nicht so lange Wartezeiten auf die Termine. Das Spital lag auch nur ein paar Autostunden von meinem Wohnort entfernt, im äußersten Winkel. Klar, gab es dort keinen großen Andrang. Dort fuhr sicher niemand außer den abzählbar vielen Einheimischen der verlassenen Gegend freiwillig hin.

Ich bedankte mich für den Hinweis, meinte aber, dass es mir zu weit weg wäre und dass ich an das Spital in X gedacht hatte, weil ich ja ursprünglich selbst aus X kam. Als die gute Dame das hörte, meinte sie plötzlich: „Warten Sie! Ich schau, ob vielleicht irgendwo ein Termin ausgefallen ist!“ Ich hörte sie mit einer Kollegin sprechen und nun schienen beide Frauen zu suchen, ob für eine ehemalige Bewohnerin aus X nicht vielleicht etwas zu machen wäre. Und tatsächlich! Ein kleines Terminlückerl im Spätsommer wurde gefunden! Ich jubelte innerlich, bedankte mich vielmals und freute mich über die Solidarität der guten Menschen aus X.

Spätsommer: Der Termin

Am Tag der Untersuchung stand ich mit Z ganz früh auf, um nur ja nicht zu spät zu kommen. Ich hatte den ersten Morgentermin bekommen. Wir erreichten X und das Spital überpünktlich und hatten nach einigen leeren Kilometern mit Bauchtrage auch die richtige Ambulanz gefunden. Wir wurden gleich in ein Untersuchungszimmer gerufen.

Z war ganz brav, ließ sich messen, wägen, verkabeln etc. Es verlief alles harmonisch und ging sehr schnell. Und dann hieß es nochmals draußen Platz nehmen. Das war nur die Voruntersuchung gewesen und die Ärztin würde bald kommen. Also warteten wir. Wir waren lange Zeit die einzigen bei dieser Ambulanz. Erst nach einer dreiviertel Stunde kam noch eine andere Mutter mit einem stark verkühlten 13- oder 14-jährigen Buben. Für letzteren war der Besuch hier im Kindertrakt wohl ziemlich uncool. Aber Z und ich blieben entspannt und warteten und … warteten noch ein bißchen länger.

Als wir mehr als eine Stunde gewartet hatten, wurde Z langsam unruhig und vor allem hungrig. Leider hatte ich die einzigen Sitzgelegenheiten dem Jugendlichen und seiner Mutter überlassen, da Z es sowieso nicht guthieß, wenn ich ruhig saß. Ich spazierte mit ihr ständig ein wenig auf und ab. Nebem der pubertierenden Rotznase wollte ich aber sowieso nicht stillen. Da weit und breit keine Ärztin im Anmarsch war, setzte ich mich auf einen Sessel im Untersuchungszimmer, dessen Türe sperrangelweit offen stand.

Und dann kam endlich die Ärztin. Doch Zs Ruhe war endgültig vorbei. Sie zappelte die ganze Zeit während der Untersuchung und die Ärztin schimpfte und schimpfte, weil sie nicht ruhig hielt. Ich biß mir auf die Lippen, um nicht bissig zu bemerken, dass sie ja pünktlich hätte erscheinen können, dann hätte sie auch noch ein entspanntes Kind untersuchen können. Ruhig liegende Patienten im Kinderbereich. Die junge Frau Doktor konnte noch nicht viel Erfahrung in der Praxis gesammelt haben. Aber das behielt ich alles für mich. Man will die Götter in Weiß ja nicht gegen sich aufbringen.

Irgendwie und irgendwann war die Tortur zu Ende und ich wurde hinaus“gewunken“. Auf meine Frage, ob ich noch einen Befundbrief bekäme, meinte sie nur, der würde an meinen Kinderarzt geschickt.

In dem Moment hatte ich schon eine kurze Vorahnung, dass das nicht so problemlos passieren würde. Denn schon bei der Anmeldung hatte ich festgestellt, dass in diesem Krankenhaus noch die alte Adresse meines Kinderarztes in der Datenbank gespeichert war. Da auf dem Zuweisungsschein aber sein Stempel mit der aktuellen Adresse prangte, hatte die Dame hinter Glas gemeint, sie würden die Adresse ändern.

Herbst: Nachfrage

Beim nächsten Kinderarztbesuch fragte ich, ob der Befundbrief angekommen war. War er natürlich nicht. Zu Hause schnappte ich mir sofort das Telefon, ein Rezept, das mir der Kinderarzt für meine ältere Tochter E gerade ausgestellt hatte, auf dem ein gut leserlicher Stempel mit der korrekten Arztadresse war, und rief im Spital in X an.

Eine Dame meldete sich. Ich erklärte, dass der Befundbrief nicht beim Arzt angekommen war und wurde zunächst nach den Daten der Patientin gefragt. Ordentlich gab ich alles telefonisch durch, Name des Kindes, Geburtsdatum und Versicherungsnummer. Ich hatte ja auch praktischerweise das Rezept vor mir liegen. Die Dame stutzte und fragte erneut nach den Daten. Ich wiederholte alles, E Nachname, sounsovielter 2000-irgendwas.

„Sind Sie sich sicher, dass das Geburtsdatum stimmt? Ich habe keinen solchen Patienten“, tönte eine irritierte Stimme vom anderen Ende der Leitung. Ob ich mir sicher war, wann mein Kind geboren wurde? Natürlich war ich mir sicher!

Die Geburt vergesse ich nicht!“ ätzte ich in den Telefonhörer.

„Waren sie sicher bei uns auf der Ambulanz?“

Es war zum Verrücktwerden! Natürlich war ich mir sicher, dass ich in X gewesen war. Extra früh aufgestanden, extra lang gewartet, extra viel geschimpft worden. So etwas verwechselt man doch nicht! Ich war ja nicht blöd! Ich fing an mich zu wundern, was für ein Chaos in dieser Uniklinik eigentlich herrschte. Unfassbar! Womöglich war nicht nur der Befund im Desorganisations-Nirvana verschwunden, sondern womöglich die ganze Untersuchung. Nochmals wollte ich den Stress nicht haben.

„Die Patientin gibt es nicht bei uns.“ – „Was machen wir denn da?“ fragte ich süffisant und fing im Geiste schon an, empörte Briefe an die Bezirkszeitung, den Bürgermeister und irgendeinen Ombudsmann zu formulieren. So eine Schlamperei! Davon würde die Welt erfahren.

„Wann waren Sie zur Untersuchung da, ich schau im Kalender nach.“

Eine gute Idee! Immerhin blieb die Dame sehr freundlich und bemüht, das Problem zu lösen. Sie würde also gut davon kommen in meinen Tiraden. Nach einigem Geraschel meldete sie sich wieder und meinte, dass sie eine Z Nachname als Patientin an dem Tag gefunden habe. Plopp! In meinem Kopf wurde es ganz ruhig, der Sarkasmus verstummte ganz abrupt. ICH hatte der Dame nicht die Daten von Z genannt, sondern jene von E vom Rezept herunter vorgelesen, das ich ja nur wegen der Arztadresse griffbereit haben wollte! Ich brachte erst gar keinen Ton heraus und musste dann kleinlaut zugeben, dass ich mich in der Kleinigkeit des „richtigen“ Kindes geirrt hatte!

Stilldemenz vom Feinsten!

Die Freundlichkeit auf der anderen Seite wurde durch einen kurzen Anflug von zugegebenermaßen verdienter Präpotenz unterbrochen: „Na, wenn sie mir das falsche Kind sagen….!“ Ich hörte förmlich wie die Dame und ihre Kollegin den Kopf entrüstet schüttelten ob solch dummer Patientenelternanrufe.

Der Befundbrief landete schließlich in meinem Postkasten, denn in der Datenbank in X ließ sich nichts korrigieren, solange „im Internet“ auch die alte Adresse noch irgendwo zu finden war.