Obwohl ich mir schon reichlich altersschwach vorkomme, wenn ich das Tipptempo am Handy so manch eines jugendlichen Pendlers beobachte – da sausen die Messages im Chat so rasch hin und her, dass einem schwindlig wird – habe ich doch das Lesezeichen in mein neuestes Buch (in Papierform) eingelegt und angefangen, drauflos zu schreiben. Was fällt mir ein zu den 3 Wörtern, welche uns die von mir hoch geschätzte Sabine vom Blog „wortgeflumselkritzelkram„
Lesezeichen
altersschwach
hüpfen
für die aktuelle Schreibeiznladung von Christiane vorgesetzt hat? Scheinbar habe ich einen recht hüpfenden Sitzhintermann im Zug, denn die Stöße, die meine Lehne abbekommt, helfen nicht unbedingt, die kleinen Buchstaben am Keyboard des Displays exakter zu treffen Ja klar, gell, nicht ich bin super langsam beim Schreiben auf der Handy-App, sondern die Umstände lassen mich ziemlich alt aussehen! Die Autokorrektur und die Tunnels während der Bahnfart tun das Ihrige dazu, dass mein Text langsamer wächst als die Fantasie ihre Blüten treibt. Sei’s drum. Freie Assoziation also zu den gegenwärtigen abc-Etüden Anreizen:
Die Besprechung war ein Hüpfen von nichtssagenden 3-Buchstaben-Abkürzungen zu 4-Buchstaben-Bullshitwörtern. Sie seufzte hörbar und erntete einen bösen Blick von ihrem Vorgesetzten.
Zuhause entdeckte sie ein Lesezeichen und lächelte beim Aufräumen vor sich hin, weil es sich einfach gut anfühlte, richtige Bücher, noch dazu besonders schön gestaltete Bilderbücher in der Hand zu halten. Digitalisierung war Fluch und Segen zugleich. Und natürlich die perfekte Ausrede, um Kosteneinsparungen voranzutreiben, zu Deutsch Leute zu entlassen.
Ihr Gesicht erstarrte zur Fratze, als sich ihr plötzlich die Worte des CEOs aufdrängten: „effizienter, leaner, agile!“ so würde in Zukunft gearbeitet werden. Übersetzt hieß das, dass weniger Angestellte noch mehr Arbeit als früher erledigen sollten. Burnout, wir kommen. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall: „Hallo Arbeitslosigkeit!“
Sie hatte einen Klos im Hals, während sie das mit bunten Wasserfarben bekleckste Blatt Papier gedankenverloren in ihren Händen herumdrehte. Hatte sie nicht nächste Woche schon ihr „Mitarbeiterorientierungsgespräch“? Hatte der unsympathische Schleimer Müller ihr nicht letzte Woche nach seinem Vieraugengespräch mit dem Chef, mit süffisanter Miene eine Daumen runter-Geste entgegen gestreckt? Das Kunden-Feedback zu ihrer Leistung war gelinde gesagt durchwachsen, unter Durchschnitt und keinesfalls ein Beweis für herausragende Bemühungen.
„Mama! Das Bild habe ich für dich gemalt!“ ertönte plötzlich hinter ihr eine stolze Kinderstimme. Verdattert schaute sie auf die Zeichnung. Es sah aus wie eine altersschwache Waschmaschine, die einen Schwall an klatschnasser Wäsche über den Badezimmerboden ausgekotzt hatte.
Ob sie dem Kind zu oft den Zauberlehrling vorgesagt hatte? „Walle, walle, manche Strecke, dass zum Zwecke …“ Im Geist endete sie mit „Fluten sprießen und der arme Wurm verrecke!“
Das Bild war ein Fall für der Rorschachtest, aber sie drückte es an ihre Brust und begann zu weinen.
Ja, das war auch zu meiner Arbeitszeit in der Buchhaltung leider auch immer wieder Thema. Leider ist deine Geschichte sehr realistisch… Auf jeden Fall ist sie schön zu lesen.
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Erstmal danke für das „hoch geschätzte“ …. das tut ja immer gut😊
Und nicht nur deine Einleitungsetüde hat alle drei gespendeten Wörter, der eigentliche Text auch. Grossartig. Wobei ich Christiane recht gebe: bedrückend (gut geschrieben). Liebe Grüße
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Aber immer mehr Menschen betrifft es. Wenn Daimler z.B. jetzt einen Schritt nach vorne macht und wohl als mit eine der ersten Firmen in den Anstellungsverträgen zugesteht, dass man nicht immer per Handy erreichbar und verfügbar sein muss, dann zeigt das ein Umfeld an, das schon lange so ist.
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Deine Etüde bedrückt mich, weil sie irgendwie verzweifelt klingt. Ich hoffe, du steckst nicht in so einer Falle.
Liebe Grüße
Christiane
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