Ich setze mich ans Klavier, um zu üben. Das Stück geht über mehrere Oktaven, Lockerheit, Armfreiheit und Konzentration sind gefragt.

Begeistert kommt die größere Tochter herbeigesprungen, schleppt einen Sessel aus der Küche heran und nimmt neben mir Platz. Voller Hingabe fängt sie an mit ihren kleinen Fingern über die oberen beiden Oktaven zu sausen. Ich fühle mich nicht nur eingeengt es entstehen auch Situationen, wo unsere Finger zusammenstoßen oder ich warten muss, bis sie von den Tasten ablässt, welche ich gerade brauchen würde.

Kurz darauf zieht und zerrt die 3-Jährige einen weiteren Sessel zum Klavier und nimmt auf meiner linken, der einzigen freien Seite Platz. Auch sie trommelt auf die Tasten, nämlich jene der untersten beiden Oktaven, dass es eine Freude ist. Oder besser gesatgt wäre. Wäre da nämlich nicht ich mit meinen Noten und einem genauen Plan, wann ich tiefe und wann hohe Töne benötige.

Das Gebrumme der tiefsten Oktaven behagt der jungen Improvisateurin jedoch nicht lange und schon bald fängt sie an, sich darüber zu beklagen, warum sie nicht auf höheren Tasten spielen darf.

Bedrängt von beiden Seiten, die wirre Virtuosin rechts von mir, die unzufriedene Piansistin links von mir, die ihrem Ärger wortreich Ausdruck verleiht, sind das ideale Übungsszenario sollte ich jemals im Zirkus mit meinen Klimperkünsten auftreten wollen. Um ein Stück gut zu üben, eignet sich so ein Setting aber eher weniger. Daher stellt die 5-Jährige auch bald fest: Gibt es kein Stück, das du besser kannst?

Ja, so  kann es einem gehen, wenn man einfach nur ein bisschen Musik machen will und dabei von seiner Familie im wahrsten Sinne des Wortes „gestützt“ oder aber eher „gestürzt“ wird.