Herbst – die Zeit des Wandels, die stürmische Zeit zwischen Entstehen und Vergehen. Die beste Zeit sich der Endlichkeit des Lebens bewusst zu werden oder aber sich angesichts der Buntheit der Natur besonders des Lebens zu erfreuen und ungeduldig auf die weiße Pracht des Winters zu warten. Meine Töchter fragen bereits täglich, wann der Schnee endlich kommt. Derzeit hat es untertags draußen so an die 17 Grad.
Ach, die Kindheit ist doch eine unbeschwerte Zeit. Der Herbst aber voller Momente, in denen man innehalten könnte und fragen: „Was ist vom Sommer übrig geblieben?“
Ich habe diese Zeilen in meinen Entwürfen aus dem Sommer gefunden:
Narzissen im Sommer
Der Mensch als Individuum.
Der Mensch im Mittelpunkt.
Der Mensch als Objekt seiner Selbstbetrachtung.
Der Mensch als Objekt der Anamnese.
Salutonegenese – wie wird man gesund? Statt immer nur nach dem kranken Anteil zu fragen. Pathogenese – die Entwicklung einer Krankheit, dabei hat das Wort Entwicklung so viel Wunderbares an sich.
Der Mensch als prozesshaftes Sein in einem Sog aus Süchten und Schmerzen, Freuden und der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Nicht auszuhalten die Leichtigkeit, weil sie keine tragende Manie oder dahinplätschernde Freude ist, sondern eine bodenlose Leere, in die der Seiende sehenden Auges zu stürzen droht, wäre da nicht die Suche nach dem Sinn des Lebens.
Kohärenz, so beschrieb Aaron Antonovsky den zentralen Aspekt der Gesundwerdung/Gesunderhaltung:
Zusammenhänge des Lebens verstehen und verarbeiten – die eigene Person als eine Person im Wandel der Zeit. Dabei finden von der Wiege bis zur Bahre mehrfache Umbauarbeiten im Körper statt.
Die Gestaltungsfähigkeit des eigenen Daseins – die eigene Person als der Wirkende im Leben, nicht der Getriebene, das Opfer.
Und zu guter Letzt die Sinnhaftigkeit. Glaubt man daran, dass Leben Sinn hat? Kann Leben auch ohne Sinn schön sein?
Wer gibt Sinn und wer oder was nimmt ihn dir?
Narzissen blühen früh, verheißen das Wiederaufleben der Natur. Narzissen leiten sich ab von narkein – betäuben. Ein betäubender Duft, besser als der im-Kreis-laufende betäubte Wille:
“ […] ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht“
wie bei Rilkes Panther, dem Gefangenen. Eine Tragik, die sich für viele Tiere tagtäglich wiederholt und selbst Menschen nicht fremd ist, die augenscheinlich völlig frei sind.
Nichts zwischen den Extremen, nur Leere, Taubheit.
Extremes als Annäherung eines Gefühls.
„Mit welchem Gefühl sind sie heute hierher gekommen?“
Stille. Immer nur Stille. Die Suche in dir selbst führt zu nichts und doch sucht man und hofft und würde gerne fündig:
„Looking for something you’ll never find“ (Gold Rush – Death Cab for Cutie)
Narzissen am Ende des Sommers. In der Natur nicht mehr zu finden, aber unter uns blüht der Narzissmus, ganzjährig und unausrottbar. Betäubte Sinne, nicht von der Schönheit, sondern der selbst zugeschriebenen Wichtigkeit.
Er speist sich selbst und an der gut gemeinten Hilfe der anderen wächst er noch weiter. Ein kaum überwindbares Unkraut, das alles vernichtet, was nicht sein darf. Liebe und Hass, Anbetung und Vernichtung. Extreme. Extreme Gefühle. Die Werte sind nur schwarz oder weiß, keine Grautöne, denn die würden alles doch nur beschmutzen, so wie die Tauben auf die Stadt scheißen.
Narzissmus ist eine schlimme Erkrankung der Seele, ist das Leiden an der inneren Leere, das sich nur durch Aufmerksamkeit der anderen mildern lässt. Wer in der Nähe eines solchen Menschen lebt, geht langsam zugrunde. Denn der Narziss ist unfähig zur Empathie. Er sieht den anderen nur in seiner Funktion, ihn anzubeten und ihm zu dienen.
Narzisse war die Blume, durch deren Schönheit und Duft Persephone – die Tochter der Demeter – angelockt wurde. Sie bückte sich nach ihr, da öffnete sich der Boden, Hades ergriff sie und entführte sie in die Unterwelt. Dort würde sie ewig ein Schattenleben führen, hätte Demeter nicht ihren zeitweiligen Aufstieg ans Licht erzwungen.
Homerischer Hymnos an Demeter:
„Fern von Demeter, der Herrin der Ernte, die mit goldener Sichel schneidet, spielte sie und pflückte Blumen mit den Töchtern des Okeanos, Rosen, Krokus und schöne Veilchen, Iris, Hyazinthen und Narzissen. Die Erde brachte die Narzisse hervor als wundervolle Falle für das schöne Mädchen nach Zeus‘ Plan, um Hades, der alle empfängt, zu gefallen. Sie war für alle, unsterbliche Götter und sterbliche Menschen, ein wundervoller Anblick, aus ihren Wurzeln wuchsen einhundert Köpfchen, die einen so süßen Duft verströmten, dass der ganze weite Himmel droben und die ganze Erde lachten und die salzige Flut des Meeres. Das Mädchen war bezaubert und streckte beide Hände aus, die Pracht zu greifen. Doch als sie es tat, öffnete sich die Erde und der Herrscher Hades, dem wir alle begegnen werden, brach hervor mit seinen unsterblichen Pferden auf der Ebene von Nysa. Der Herr Hades, Sohn des Kronos, der mit vielen Namen genannte. Um Erbarmen flehend, wurde sie in den goldenen Wagen gezerrt.[2]“
Fliehe vor den Narzissten, möchte ich rufen! Du kannst ihnen nicht helfen, sie aber werden dich zerstören.
Hier noch ein einschlägiger Eintrag: https://gerdakazakou.com/2015/10/17/der-spiegel-des-narziss/
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Was war, ist vorbei. Was kommt, wissen wir nicht. Leben ist jetzt.
Plutôt la vie – lieber leben!
Liebe Grüße
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