12 Hirnnerven gibt es also. 12, so viele wie Apostel. Ob wir sie beim letzten Abendmahl noch alle zusammen haben werden? Wer weiß. Alle elf zusammen sind jedenfalls keine  elf Meter lang. Also die Nerven, die Apostel waren das wohl schon.

Ohne Elfmeter kann man ganz wunderbar leben. Ohne die 12 Hirnnerven weniger. Beim Fußballspielen kommen sie ordentlich zum Einsatz. Der Hypochonder spielt aber nicht Fußball. Er liest eventuell Handke. Oder besser nicht.

Hypochonder bilden sich Krankheiten ein. Eigentlich traurig. „Der eingebildete Kranke“ dagegen ist ein wahres Luststück, also eine der berühmten französischen Lustspielen, in denen ganz famos herum geblödelt wird. Nach Blödeln ist demjenigen jedoch gar nicht, der gerade leidet.

Ich bin zum Glück kein Hypochonder. Ich bilde mir nicht ein, krank zu sein. Ich bin es manchmal einfach. Die Leiden sind echt. Dann allerdings komme ich recht schnell zur Überzeugung (sogar ganz ohne Internet), dass es sich um eine schwere, sehr schwere Krankheit handeln muss. Kopfschmerzen, die über Tage hinweg anhalten, über Wochen gar! Zum Glück stellte sich heraus, dass es nur eine Stirnhöhlenentzündung war. Klingt banaler als es sich anfühlt *schnäuz (das schreibt man jetzt wirklich wie Schnauze!)*

Dem Tod von der Schaufel gehüpft – zumindest im Geist. Dabei ist ein Ende der Schmerzen sicherlich nicht das, was der Fast-nicht-Hypochonder (oder Nicht-fast-Hypochonder) fürchtet.

Die Angst des Hypochonders liegt zum Teil darin begründet, dass er seine Endlichkeit so nah vor Augen hat, dass sie ihm den Blick auf das Schöne in der Welt verstellt. Statt sich zu freuen, kann man sich auch ängstigen. Hauptsache man beschäftigt sich mit sich selbst. Das Ich steht gerne im Zentrum der eigenen Aufmerksamkeit. Gelegentlich tritt es einen kleinen Schritt zur Seite, aber im Abseits würde es verkümmern. Und schon bald drängt es wieder auf seinen, ihm angemessenen Platz zurück: Das Podest.

Beim Hypochonder wird das Podest zum Untersuchungs- oder Krankenzimmer. Die Wehwehchen müssen ununterbrochen überwacht werden. Das Schlimmste, was in so einem Fall passieren könnte, wäre der Ausfall des wichtigsten Teilnehmers an diesem unlustigen Spiel. Wessen Leiden würden dann im Mittelpunkt stehen?

Die Welt ohne das eigene Ich ist eine recht leere. Das möchte man denken, sagen, laut ausrufen. Aber eigentlich wäre sie nicht wirklich viel leerer. Aus Sicht des Ichs ist es allerdings die ultimative Veränderung. Und unglücklicherweise eine nicht revidierbare und kaum vorstellbare. Als Kind habe ich gelegentlich versucht, mir eine Welt ohne mich zu denken.

Wie wäre es ohne mich?

Ha, da würde es der Schwester leid tun, dass sie mich geärgert hat, den Eltern, dass sie mir dies und jenes nicht erlaubt haben! Ha! Nur schade, dass ich das dann eigentlich gar nicht mitbekommen würde. Bestrafung ohne Genugtuung? Ein schwieriges Thema. Grausam gar.

Genug-tu-ung  – welch seltsames Wort, wenn man es schreibt. Zwei u. Im Deutschen gar nicht so selten und doch meist nur mit Zwielauten: Betreu-ung, Bebeau-ung. Donau-ufer. Die Tuung aber schaut fremd aus. Tun tut man ja auch nicht. Und wenn es schon genug ist, hört das Tun hoffentlich auf.

Aber ich schweife ab.

Eine Welt ohne mich? Die Welt würde sich weiterdrehen, die Menschen gingen ihrer gewohnten Wege, ein paar, ganz wenige nur, wären vielleicht ein bisschen traurig. Die Zeit heilt alle Wunden. Doch halt! Was tue ich denn da? (Und diesmal darf ich tun sagen.) Ich betrachte eine Welt ohne mich. Ich kann sie aber doch gar nicht mehr betrachten. Nicht so von außen wie der neugierige Zuseher des großen Welttheaters. Ich müsste sie erleben, ohne da zu sein. Unmöglich. Was unmöglich ist, kann nicht sein. Der Hypochonder ist gerettet, die  Leiden bleiben ihm, der Wahn auch.