Yvonne von umgeBUCHt hat die 3 Wörter für die abc-Etüden (Begriffe in maximal 300 Wörtern) spendet:

Raureif
sündig 
verrücken

face

Es lebte ganz im Verborgenen. Nur wenn sie in der Therapiestunde saß und darüber zu sprechen versuchte, stieg es aus ihr heraus, baute sich schräg vor ihr, direkt hinter dem unerfahrenen Therapeuten in voller Größe auf und warnte sie davor, ihre sündigen Gedanken mit jemand anderem zu teilen.

„Du weißt, dass du nichts bist. Daran ist nichts zu verrücken, schon gar nicht durch so ein doofes Gesülze von einem, dem du doch in Wirklichkeit ganz egal bist! Der kann dir sicher nicht weiterhelfen. Also, halt den Mund!“

Das spöttische Lachen hallte wie ein Donnergrollen. So saß sie Stunde um Stunde schweigend und leidend dem Mittzwanziger gegenüber, der ohnedies schon jegliche Hoffnung für sie aufgegeben hatte. Wer nicht redete, dem konnte auch nicht geholfen werden. Das hatte er schon ein paar Mal ganz klar gesagt. Gut, das waren nicht direkt seine Worte gewesen, aber es war das, was sie hörte, wenn er sie freundlich aufforderte, sich ihm doch mitzuteilen.

„Du hältst deinen Mund!“ befahl es wie selbstverständlich und lachte höhnisch. Oh, wie laut und klar sie diese Worte hörte. Doch nur sie konnte sie hören. Seit sie einmal bei Raureif ganz alleine die kleine Gasse entlanggegangen war und trotzdem deutlich Schritte hinter sich hörte, wusste sie, dass das Monster in ihr auch physisch tatsächlich existierte.

Horrorromane waren das eine, dieses gesichtslose Wesen, das sie beherrschte, war eine ganz andere Liga. Da gab es keine guten und beinahe banalen Ratschläge wie „Öffne nie die Türe, wenn du alleine zu Hause!“, die man den Schauspielern in den Filmen verzweifelt zurufen möchte. Nein, das Monster war immer da und lauerte nur darauf, dass sie sich alleine fühlte.

„Halt doch selbst den Mund!“ zischte sie und plötzlich nahm das Monster eine ihr sehr bekannte Gestalt an.