Unsichtbare Tage sind solche, an die man sich besonders lange erinnert. Eigentlich sind sie das Gegenteil von unsichtbar, denn sie brennen sich ein ins Gedächtnis. Wann immer du ihrer ansichtig wirst, kannst du sie auch wieder fühlen, schmecken, hören, erleben. Schmerzlich nacherleben.

Unsichtbare Tage sind jene, an denen sich beim Bäcker einfach jemand vordrängt. Du warst nur einen Bruchteil einer Sekunde zu langsam und schon schleudert die ältere Dame links von dir der Verkäuferin ihre Wünsche ins Gesicht, obwohl sie sich erst nach dir an die Theke gestellt hat.

Während du deine Bestellung überrascht hinunter schluckst, fragt der gerade frei werdende zweite Verkäufer den Mann rechts neben dir, der einige Momente nach dir hereingekommen ist, was er bekomme.

Und du stehst in der Mitte und fängst an dich zu fragen, ob du vielleicht unsichtbar bist.

Nur an diesem Morgen. Nur in diesem Geschäft? Hast du heute Morgen etwa vergessen, dein Ich überzustreifen. Stehst du vielleicht nackt bis auf das verletzte Ego hier mitten unter anderen Menschen und trotzdem sieht dich niemand. Dein Selbstwertgefühl bäumt sich zu einem feuerroten Stier auf, der stumm wie ein Fisch nach Luft schnappt. Kein Ton kommt über deine Lippen. Schlussendlich hebst du nur nur schrill auflachend die Schultern, weil es wohl nur eine Verrücktheit, eine Laune diese Tages sein kann, dass man dich einfach übergeht, dich mehrfach übersieht. Dich absichtlich ignoriert?

Nein, so böse kann ein unsichtbarer Tag doch nicht sein. Aber er ist ja auch noch nicht vorbei.

An der Kassa im nächsten Geschäft ist nur ein Schalter geöffnet und natürlich gerade besetzt. Am anderen Schalter haben sich alle anderen Angestellten versammelt und werden geschult. Das muss auch sein, dafür hast du Verständnis. Eigentlich, denn lernen ist notwendig, lernen ist gut. Alle fünf oder sechs schauen dich sogar immer wieder an. Oder schauen sie nur über dich hinweg, auf das, was ihnen der Älteste gerade erklärt, worauf er zeigt, hinter dir?

Keinen von den Angestellten interessiert, dass du es schon in der Bäckerei recht eilig hattest. Niemanden interessiert das. Das ist unwichtig. Du bist unbedient, du bist unsichtbar und du wirst langsam sehr ungeduldig.

Hinter dir stellt sich jemand an. Es ist dein Chef.

Ihr grüßt euch. Er wartet, du wartest schon länger. Er überragt dich locker um zwei Köpfe und er ist ein Mann. Damit ist nun endlich die kritische Masse an Wartenden erreicht. Ein zweiter Schalter wird geöffnet. Na bitte, geht doch.

Dummerweise wirst du das Gefühl nicht los, dass der Schalter nicht deinetwegen geöffnet wurde.  Die unsichtbaren Tage sind jene, an denen du im größten Gedränge ganz alleine bist. Die unsichtbaren Tage sind jene, an denen du an dir selbst zweifelst.

Immerhin denkt ein Mensch an dich.

Du selbst.