Ernst hatte früher sein eigenes Zimmer. Ständig saß er nur vergraben hinter Büchern an seinem Tisch oder lag auf der Couch und dachte über die Welt und seine Rolle darin nach. Nur ungern verließ er das Haus, um sich Vergnügungen unter Menschen hinzugeben.

Ernst war immer etwas angespannt. Soziales Geplänkel galt es abzuwehren wie lästige Mücken, Zeitfresser gleich gar nicht an sich heranzulassen. Sie ermatteten ihn bestenfalls, schmerzten körperlich schlechtestenfalls.

In seinen sehr ernsthaften Bemühungen, Prokrastination zu vermeiden und stets Sinnvollem den Vorzug zu geben, stellte er fest, dass er sich umso mehr nach Gesellschaft ohne Zweck und innerer Pflicht sehnte, je besser es ihm gelang, diese zu meiden.

So nagelte er eines Tages mit verbundenen Augen – um seine schwache Stunde nicht auch noch mitansehen zu müssen – eine Annonce an das schwarze Brett vorm Kopf. Und siehe da, bald schon zog der jugendliche Leichtsinn ein. Zusammen mit dem verrückten Übermut und der träumenden Phantasie war die Teenie-WG vollständig.

Dann wurden sie erwachsen und ihre Wege trennten sich. Der ältere Ernst schläft gerne länger, ächzt beim Aufstehen und schleppt sich verdrossen durch den Tag. Mürrisch beäugt er, was rund um ihn geschieht. Kaum etwas erinnert noch an seine Mitbewohner von früher. Nur wenn sich der launische Ärger ankündigt, dann wirft sich Ernst in Schale und stapft aufgeregt durch das Haus. Der Ärger kommt immer aufbrausend angebraust, mit zugeknöpftem Hemd und schlägt einen Radau bis ihm fast der Kragen platzt. Und Ernst, ja Ernst steht in der zweiten Reihe, lugt mal links, mal rechts am Ärger vorbei nach vorne und nickt zustimmend bis ihm vom vielen Halsverrenken ganz schwindlig ist. Dann zieht er sich still und heimlich wieder zurück in sein Kämmerlein und denkt: Uns beide gibt es nur im Doppelpack – immer Ärger mit Ernst.

Was diese Geschichte soll? Ich hätte sie auch so erzählen können:

Es war einmal ein kleines Mädchen, das erlaubte sich manchmal die Mutter zu necken. So fand sie es sehr lustig, das Gegenteil von dem zu tun, worum sie gebeten wurde. So lustig sogar, dass sie gar nicht hörte, wenn der Geduldsfaden ihres Gegenübers mit einem leisen „Bling!“ inmitten des Gekichers und spaßhaften Geschreis riss.

„Bling!“  und plötzlich war sie die einzige, die lachte, aber nicht die einzige, die laut war. „Bling!“ und plötzlich klang die Stimme der Mutter ernst und ärgerlich. Und das Mädchen wusste gar nicht, woher das aufziehende Gewitter kam.

Oder ich hätte einfach nur diese Fragen stellen können:

Warum vertreibt die Pflicht dauernd den Spaß und der Ernst ruft dann auch noch den Ärger auf den Plan? Und wann wurde ich eigentlich der Spaßverderber-Erwachsene, der ich nie sein wollte?