Ein Verhalten, das meiner größeren Tochter völlig fremd scheint, ist zu schweigen. Zumindest ein paar Sekunden lang nicht zu reden – völlig unmöglich. Wenn sie munter ist, wird geredet und geredet und geredet. Ich nehme an, das ist eine Phase, bis sie lernt, dass sie nicht jeden Gedanken aussprechen muss/darf/sollte. Aber bis dahin …

Ein Beispiel:

E erzählt mir gerade etwas. Das ist eigentlich immer der Fall, wenn ich nur halbwegs in ihrer Nähe bin, es bis vor kurzem war oder es vermutlich gleich sein werde. Sie spricht auch oft sehr laut. Gleichzeitig ruft mir mein Mann aus einem anderen Zimmer etwas zu. Ich bitte E kurz ruhig zu sein. Hört sie auf zu reden? Nein! Sie spricht weiter, allerdings flüstert sie mir jetzt – rücksichtsvollerweise – das Ende ihrer Erzählung ins Ohr und ich kann meinen Mann beim besten Willen trotzdem nicht verstehen bevor sie nicht zu Ende gesprochen hat.

Noch ein Beispiel:

Ich habe rasende Kopfschmerzen. Der Tag dauert gefühlt schon ein halbes Jahr und bislang ist es mir noch nicht gelungen, den Kindern das Konzept einer „indoor voice“ beizubringen. Da Z noch nicht spricht, ist Quietschen überhaupt eine Art geheime Kommunikaton zwischen den beiden Schwestern. Es wäre ja paranoid jetzt schon von einer Verschwörung der jungen Generation gegenüber der alten, weisen zu vermuten. Das kommt hoffentlich erst frühestens in einem halben Jahr.

Aber zurück zu jenem nicht so tollen Tag:

E möchte noch ein Glas Milch als Nachspeise, ich muss aber gerade die kleine Z wickeln. E ruft also aus der Küche ohne Luft zu holen und in der Lautstärke eines unmittelbar neben mir startenden Helikopters:

„Ich möchte noch eine Milch trinken. Kann ich ein Glas Milch haben? Ich möchte ein Glas Milch! Kann ich ein Glas Milch haben? Ein Glas Milch bitte! Ich möchte …“

Ich antworte schon seit ihrer ersten Frage laufend mit „Ja!“ und „Ja, gleich!“, aber das führt aus irgendeinem Grund nicht dazu, dass sie ihr Bitten einstellt und schweigend abwartet, bis ich ihr das Glas Milch geben kann. Nein, die Leier geht weiter, wie eine hängengebliebene Schallplatte (für die jüngeren Leser: die großen, runden, schwarzen Scheiben, die Vorläufer der CDs waren, also der glänzenden kleinen Scheiben, die ihrerseits Vorläufer von USB-Sticks waren; streaming gab es ja früher noch gar nicht, da musste man die Musik noch im Geschäft auf sogenannten Tonträgern kaufen; und bei Tonträger denke man jetzt nicht an aus Tonerde gebrannte Figuren wie jene der Terrakotta-Armee! Letztere liefern aber ein wunderbares Stichwort für das Titelbild).

Endlich stelle ich ihr das Glas vor die Nase und sage entnervt dazu

„Bitte trink die Milch und sei einmal 5 Minuten lang still!“

Und was passiert?

Noch bevor sie anfängt die Milch zu trinken ruft sie:

„Papa, die Mama schimpft! Warum schimpft die Mama?“

Da musste sogar ich lachen.


Ergo: Es gibt noch viel zu lernen bezüglich Schweigen und Zuhören und Reden …