Distressed banks, assets, communities … Bankenkrise, Wirtschaftskrise, Stresstests … Die Zeitungen sind seit Jahren voll von solchen Begriffen.

der Stress, deutsch; Vorkommen: überall, vor allem quer durch die Bank

distressed, englisch; Vorkommen: während Bankenkrisen vor jedem zweiten Wort im Wirtschaftsteil.

Die Kombination daraus ergibt dann wohl

di(e)stressed Mama

eine Steigerungsform von Stress, vielleicht sogar ein Superlativ. Man findet diesen Begriff aber wundersamerweise derzeit weder im Duden, noch in einem Wirtschaftslexikon. In letzterem gibt es jedoch viele andere Begriffe, die auch im Leben einer Mutter eine Rolle spielen.

Ein paar Kostproben:


Kostenreduktion durch Personaleinsparungsmaßnahmen

… führt zu Stress in der Arbeit bis hin zu durchgearbeiteten Nächten oder zumindest schlaflosen Nächten, weil man gedanklich nicht abschalten kann: ungesund, unvernünftig (und oft selbstverschuldet, da man denkt, ohne den eigenen Beitrag ginge es nicht – beim Bloggen kommen diese Tendenzen mitunter auch wieder durch), ungeahnte Levels der Erschöpfung.

So weit, so bekannt.

Stress als Mutter? Darüber hätte ich früher nur milde gelächelt. 24 Stunden zu Hause sein, über Monate hinweg, und man hat nichts anderes zu tun als sich um ein kleines Baby zu kümmern. Pah! Kinderspiel, babyleicht im wahrsten Sinne des Wortes. Von außen betrachtet ist die Karenz sowieso nur ein suuuuuuuper langer Urlaub, Urlaub hoch 2 sozusagen.

Und dann wurde ich selbst Mutter, zum ersten Mal.

Die Basisinnovation im eigenen Leben: ein eigenes Baby!

Zyklen und Wellen

Beim ersten Kind fühlte ich mich so gestresst wie noch nie. Das Stressniveau erreichte Höhen, in denen die Luft tatsächlich so dünn war, dass das Hirn nicht mehr ordentlich mitmachen wollte – unter Müttern auch bekannt als Stilldemenz. In der Wirtschaft spricht man gerne von Gap, wobei ich den Begriff der WHO sehr treffend finde: know-do gap. In der Theorie wäre das Wissen ja vorhanden, aber es findet den Weg in die Praxis einfach nicht. Dieser know-do gap ist in den verschiedensten Varianten auch in der Erziehung zu finden: auf der Ebene Kind – Kind (das Kind weiß zwar, dass es das nicht tun soll, tut es aber dennoch), Eltern – Kind (die Eltern wissen zwar, was das Kind tun soll, das Kind tut es aber dennoch nicht), oder sogar Eltern – Eltern (die Eltern wissen zwar, was sie in der Theorie tun sollten, schaffen es in der Praxis aber nicht).

Es ging auch nicht immer nur bergauf mit dem Adrenalinspiegel. Wo Höhen sind, da gibt es auch Tiefen. Ein Kind zu bekommen und Wirtschaftszyklen haben mehr gemeinsam als man landläufig denkt:

Aufschwung+Wachstum (Schwangerschaft) -> Boom oder vielmehr Bumm: Geburtserlebnis -> Rezession, also Rückbildungsphase und Depression.

Ganz zu schweigen von den Stimmungsschwankungen. Ja, darüber wollen wir wirklich schweigen, bevor mein Mann auf die Idee kommt, ein Lied davon zu singen …

Fast schon verrückt, welche langen (und hohen) Wellen eine Geburt schlägt. Für lange Zeit ist nichts mehr so wie es einmal war. Selbst die Proportionen des eigenen Körpers sind davon nicht ausgenommen, aber das ist eine andere Geschichte, die hier so manchen Rahmen sprengen würde.

Fehler-Ursachen-Analyse

Woher kommt dieser Stress denn nun eigentlich?

Vielleicht daher, dass man plötzlich 24 Stunden am Tag gebraucht wird. Ohne schnelle Kaffeepause, ohne Vertröstung. Säuglinge dulden keinen Aufschub. Sie sind in dieser Hinsicht wirklich argumentationsresistent. Es wird gebrüllt, bis das Gewünschte erreicht ist. Eine sehr hohe Bedürfnisintensität! Es gibt hier einige Parallelen zur (misslungenen) Praxis eines nicht unbedeutenden Teilgebiets der Betriebswirtschaftslehre: Personalführung durch launische Chefs, die glauben, sie müssten ihre Machtposition mittels Lautstärke absichern.

O.K., ein bisschen hängt es sicherlich auch mit den Hormonen zusammen. Meinen Mann stresst ein weinendes Kind deutlich weniger als mich. Eine explorative Selbststudie zeigte, dass sowohl die psychischen als auch die physischen Symptome etwas nachlassen, wenn die Wirkung der geballten Dosis Mutterschaftshormone abflaut und sich ein paar Stunden Nachtruhe einstellen.

Die Primärforschung musste dann jedoch aufgrund eines einschneidenden Erlebnisses unterbrochen werden:

Ich wurde zum zweiten Mal Mutter.

Ach du meine Güter!

Und plötzlich war das Ursprungsproblem „Stress mit einem Kind“ gar nicht mehr vorhanden. Das Substitutionsgut „Stress mit zwei Kindern“ war an seine Stelle getreten. Nachfrage und Preis als Auslöser? Quatsch! Idealvorstellung von Geschwistern, die miteinander spielen und eigene mystisch verklärte Sozialisationserfahrung als Nicht-Einzelkind. Dass es in der Realität dann eher zu kartellartigen Absprachen der Kinder gegen die Eltern kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Nicht nur die Nachfrage nach Konsumgütern stieg mit dem zweiten Kind deutlich an. Wir produzierten inferiore Güter en masse, auch bekannt als Pupswindeln. Der Change Management Prozess (das Windelwechseln) kann dabei unmittelbar als die Nachlaufphase aus dem Produktlebenszyklus-Grundmodell identifiziert werden: „Entsorgung von Alt-Produkten sowie die Desinvestition von Betriebsmitteln„. Die Betonung verschiebt sich auf das Nachlaufen, kaum kann der Nachwuchs krabbeln.

Auch die anderen Phasen (Einführung = Füttern, Sättigung und Wachstum = selbsterklärend, bis hin zur Reife = Entwicklungsschub) sind zuordenbar im Alltag mit Baby. Die Degenerationsphase trifft allerdings im wesentlichen auf die Mutter zu: geistige Abgeschlagenheit durch häufigen Schlafmangel.

Mit dem zweiten Kind war es dann mit der Kreuzpreiselastizität, nein, der Kreuzelastizität des mütterlichen Rückgrats bald vorbei. Wettbewerb oder Konkurrenz? Wenn es darum geht, getragen zu werden, liefern sich Baby und Kleinkind einen harten Verdrängungswettbewerb oder Konkurrenzkampf.

Die Aufnahme des Nichtsättigungsgutes fast-immer-hungriges-Baby in die Familiengleichung führte zu verschiedensten Ungleichgewichten. Außerdem wurde aus dem Erstkind ein Komplementärkind. Gleichzeitig wurde das Monopol auf Unterhaltung/Bespaßung des Nachwuchses, das bisher einzig und allein die Eltern hatten, durch Outsourcing an die Kinder gestürzt. Die bespaßen und beflegeln sich nun gegenseitig – heureka! Die Aufgabe der Eltern reduziert sich (haha!) damit lediglich auf die Überwachung eines labilen Gleichgewichts, idealerweise mittels der unsichtbaren Hand von Adam Smith. Es muss aber nicht völlig liberales Laissez-faire sein.

Die Familie erscheint mir oft als bilaterales Oligopol: Es gibt nur wenige Anbieter für Erziehung, meist nur ein bis zwei Elternteile, wenn man ungefragte Vorschläge aus der Verwandtschaft, Nachbarschaft und von völlig fremden Menschen außer acht lässt, bei einer begrenzten Anzahl von (mehr oder weniger freiwilligen und begeisterten) Abnehmern, den Kindern. Die Familie ist aber auch eine große Spielwiese der angewandten Spieltheorie.

Und was lernen wir letztendlich daraus?

Der Stress mit den Kindern wird nicht weniger, nur weil man mit Fachbegriffen aus VWL,BWL oder sonstigen –els um sich wirft.