Mit spitzen, behandschuhten Fingern griff sie nach der zusammengeknüllten, weichen Zeitung, die im Eimer mit dem schwarzen Schriftzug „Restmüll“ ganz unten drin lag. Liegen konnte man das eigentlich nicht nennen. Sie schwamm eher in der Limonade, für die sie eine halbe Küchenrolle brauchte, um sie aufzutunken.
Verärgert stopfte sie die ganze Sauerei in den linken blauen Abfallsack auf ihrem Wagen. „Zeitung im Restmüll, ist eh klar“ murmelte sie vor sich hin, während sie den Eimer neben dem Restmüllbehälter auswischte, auf dem in oranger Farbe „Altpapier“ stand. Und zehn Schritt weiter hätte der- oder diejenige seine Limonadenplastikflasche ordentlich zum Plastikmüll werfen können, aber nein, es machte ja viel mehr Spaß, das Ding aufgeschraubt in den Restmüll zu kippen, statt ihr Arbeit zu ersparen.
Mit säuerlicher Miene schob sie den Wagen langsam zehn Schritte weiter zu Altplastik und Metall. Bei dem Nieselregen huschten die Gestalten am Bahnsteig mit hochgezogenen Schulten, oft ganz kopflos, nur mit schirmförmigen Häuptern Richtung Bahnhofsgebäude.
Nur ein dem Wetter trotzender Raucher blies seine einsamen Rauchwolken Zug um Zug gegen die Seitenwand des abgestellten Zuges. Als er fertig geraucht hatte, sah er sich kurz fragend um, dann schlurfte er mit gleichgültigem Blick zu ihrem Wagen und warf den noch glühenden Zigarettenstummel mit rascher Handbewegung in den Sack mit dem Altpapier.
Sie konnte sich ja irren, aber es schien ihr fast, als bereitete es ihm Freude, zu sehen, wie sich ihre Augen weiteten, als sie panisch nach ihrer eigenen Trinkflasche griff und Wasser über die Zeitungen goss. Nein, sie irrte sich nicht. Mit lautem, arrogantem Lachen ging der junge Anzugträger mit dem zurückgegelten Haar davon und ließ sie in ihrer Wut zurück. Sie, die Reinigungskraft, die in ihren 30ern auch jung und erfolgreich und arrogant gewesen war. Aber jetzt, mit Kindern und Teilzeitjob sah die Welt ganz anders aus.
Ein Beitrag für Christianes Schreibeinladung (den abc-Etüden) mit den 3 Wörtern
Nieselregen
weich
irren
von Fundevogelnest
Ja, am Bahnhof darf man das machen: habe das ja quasi mit der Fahrkarte mitgekauft, dass die alles rein halten. DIE gibt es aber in Gedanken viel zu viele: die Städte, die Arztpraxen (obwohl mir gestern bei einem Ausflug eine befreundete Zahnärztin versicherte, dass sie nur noch eine Rolle Papier in die Toilette hängt, weil die überzähligen regelmäßig von Patienten geklaut werden); die Frau zu Hause, die Freiwilligen, die jedes Jahr die Ortseingänge reinigen; die Ahmadiya-Muslime, die bei uns (freiwillig) jedes Jahr den Sylvestermüll einsammeln, etc. etc.
Bin ich doch nicht verantwortlich!
Oder doch?
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Leider eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt – wer es sich erlauben kann, tritt eben gerne nach unten.
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Die Arroganz der Ignoranz, fällt mir dazu ein und glleichzeitig werde ich auch zornig, weil mir zu deiner Etüde so einiges einfällt. Danke dafür!
Herzliche Grüße
Ulli
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Ich wünschte mir manchmal Mülltonnen könnten beißen. Ich habe früher in der Nähe einer Schule gewohnt, da haben alle paar Monate die Altpapierconrainer gebrannt. Kann ich nicht nachvollziehen. Auch nicht, wie man Putzkräfte etc so herabwürdigend behandeln kann. Das Fehlen eines Managers merkt kaum einer, aber wenn plötzlich alle Mülleimer voll sind, das merkt man schnell.
Grüße, Katharina.
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Ich verstehe Christiane total, auch ich kenne diese Gefühle, wenn ich so etwas sehe.
Nachdenkenswert ist dein Beitrag und vielleicht setzt er bei manchen etwas in Gang…
Liebe Sonntagsgrüße
Anna-Lena
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Ich habe öfter mitbekommen, dass sich Leute so benehmen, und ich bin jedes Mal sprachlos – ich meine die Sache mit dem Altpapier. Das ist der Moment, wo ich mir Zorro, den Rächer der Entnervten, auf den Plan wünsche, wahlweise auch einen großen Hund, der dem Idioten mal kurz ans Bein pinkelt. Oder so.
Es macht mich fassungslos und ich fühle mich hilflos, wenn ich das sehe. Beides nicht gut.
Liebe Grüße
Christiane
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