Die Worte für die abc-Etüden von Christiane kommen diesmal von Myriade (la parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée) und lauten
Salatschüssel
seidig
übernehmen
Verantwortung für einen anderen Menschen zu übernehmen, ist keine kleine Aufgabe. Weder als Erziehungsberechtigter oder sogar -verpflichteter, für kleine, also besonders junge Mitmenschen, noch als Pflegekraft für die Großen, aka Erwachsenen.
Sie vereinte beides in sich. Als Mutter einer fünfjährigen Tochter und als Tochter einer greisen Mutter, die den Alltag nicht mehr alleine bewältigen konnte.
Sie stellte die Salatschüssel auf den Tisch, rückte das Besteck zurecht, sodass es parallel zur Tischkante ausgerichtet war und strich mit ihrer rechten Hand nervös über das seidige Tischtuch. Hätte sie doch nur ein Plastiktuch gekauft, von dem man die Flecken einfach abwischen konnte, aber nein, ihr Ex-Ehemann hatte darauf bestanden, es müsse feiner Stoff sein und weiß. Weiß war es leider schon lange nicht mehr, sondern voller ausgewaschener Flecken in den buntesten Farben: gelb von Safran oder Kürbis, grün von Brokkoli und Erbsen, rot von Rüben und Beerengrütze und natürlich violett, blau, braun und schwarz von den Wasserfarbenkunstwerken ihrer Tochter.
Sie stellte die heißen Töpfe und Pfannen in die Mitte auf Korkuntersetzer und rief das Mädchen. Dann ging sie ins Wohnzimmer und schob die 91-Jährige in die Küche.
Nach dem Essen machte die Oma ein Nickerchen und das Kind lief in sein Zimmer, um zu spielen. Statt den Tisch ab- und den Geschirrspüler einzuräumen ging auch sie in ihr Schlafzimmer, zog die Vorhänge zu, legte sich ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Sie konnte es keine Minute länger ertragen. Ab jetzt musste sich jemand anderes um die Familie kümmern.
Sie kam nicht aus dem Zimmer als die Tochter weinend abends an die Tür klopfte, sie stand auch nicht auf als ihre Mutter krähte, dass die Windel voll sei. Nein, sie würde einfach hier liegen bleiben und sich vor der Welt, die viel zu hart zu ihr war, verstecken.
Die Flucht in Sich-Totstellen, in Depression, in einen Unfall …. viele Möglichkeiten gibt es, nicht an Lösungen zu arbeiten, sondern sich den Stein, der auf der Brust lag, gegen den eigenen Kopf zu schmeißen. Wenn sogar der Ex-Mann im Haus noch immer ein Schatten-Kommando führt und Plastikdecken verhindert, sehe ich schwarz fürs Kind, für die Oma und für die Frau.
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Puh, aus dem wahren Leben, denn solche Situationen gibt es auch neben einem Kind und einer greisen Mutter. Wir Frauen neigen dazu, uns überfprdern zu lassen und zu spät die Reißleine zu ziehen.
Danke für das Erinnern, auch mal HALT sagen zu müssen.
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Ein Alltag für wohl mehr Menschen als wir es wirklich wissen! Ich kenne diese Momente der vollkommenen Überforderung, allerdings „nur“ als Alleinerziehende von zwei Kindern, plus Arbeit, plus Haushalt, plus Schule … lang ist es her. Ich bin froh, dass ich auf diesem Weg gelernt habe mir Hilfe zu holen, wenn es brennt und auch mit der Zeit esser mit meinen Kräften zu haushalten, auch schon lange nicht mehr zu allem JA zu sagen, wie weh es dann auch manchmal tut, ob mir oder den anderen.
Ich glaube, dass A&O im zwischenmenschlichen Miteinander die Ehrlichkeit ist, sich selbst und allen anderen im Reigen gegenüber.
Danke für deine Etüde, deren Thema ich sehr wichtig finde.
herzliche Grüße
Ulli
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Die schwierige Kunst liegt darinnen, es nicht so weit kommen zu lassen, rechtzeitig in sich zu spüren,den Pflegedienst, die Putzfrau, was immer zu organisieren und so ein durchsichtiges Plastiktischtuch zu kaufen, das über die Stoffdecke kommt (ich mag es nicht missen).
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Ich denke auch nicht, dass es sich hier um einen Einzelfall handelt. Meine Mutter hatte damals ein „großes“ Kind von Ende dreißig, und trotzdem war es sehr anstrengend, sich um ihre Mutter zu kümmern.
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Ja, das überfordert. Eine Lösung? Sich für einen der beiden Menschen entscheiden? Wer will das müssen?
Ich glaube nicht mal, dass solche Fälle selten sind.
Liebe Grüße
Christiane
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Ja, das kann ich so gut nachvollziehen. Was aber ist die Lösung?
Und so ein interessantes, buntes Tischtuch, das hat es mir richtig angetan ….
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