Diese Woche gibt es die Extraetüden von Christiane mit den Dezember-Wörtern von Elke H. Speidel und derglzugrunde: 

Winterbaum, nasskalt, nachtrauern
Regenbogen, 
transparent, bluten.

Bei den Extraetüden muss man 5 (aus 6) Begriffen in eine maximal 500 Wörter lange Geschichte einbauen.

graffitimauer

Die Grenze zwischen Absurdistan und Kitschistan bildete eine Mauer, die so hoch war, dass es tatsächlich absurd erschien, dass irgendein Mensch, weder zu Lande noch in der Luft (auch nicht mittels Flugzeugen) diese jemals würde überwinden können. Auf der Seite von Kitschistan war die Mauer mit kitschig grellen Farben bemalt und über und über mit leuchtenden, glitzernden, glänzenden und klingenden Dekorationen behängt und kein Kitschistaner kam jemals auf die Idee, dass sich jenseits dieser Mauer noch ein anderer Teil der Welt befinden könnte. Nein, nein, hier war die Welt zu Ende. So viel war für die Kitschistaner klar.

So klar, wie es den Absurdistanern erschien, dass ihr Reich nur so lange weiter bestehen würde, solange es im Wald noch einen Winterbaum gab. Leider waren sich die Absurdistaner darüber nicht einig, was genau ein Winterbaum war. Die einen sagten, es wäre absurd, würde es sich nicht um einen kahlen Laubbaum wie die große Eiche handeln, die anderen schüttelten ob dieser Logik nur die Köpfe und beharrten darauf, dass ein Winterbaum sicherlich ein im Winter grüner Baum, also ein Nadelbaum wie eine große Tanne sein müsse.

In den nasskalten Herbstnächten hielten die Absurdistaner genauso Wache wie in den heißesten Sommernächten, um entweder die Laubbäume oder die Nadelbäume davor zu bewahren, vom Feinde umgeschnitten oder durch Stürme gefällt zu werden. Der Wald von Absurdistan wuchs und wuchs unaufhörlich, da niemand es wagte, Schlägerungen durchzuführen. Die Absurdistaner waren deshalb gezwungen immer höhere Häuser zu bauen, da der Platz zunehmend knapper wurde.

Die Mauern der untersten Stockwerke waren alle transparent, da es sonst in den Wohnungen zu finster geworden wäre, neben all den riesigen Baumstämmen. Eines Tages pfropften sie wieder ein paar weitere Stockwerke auf das höchste Haus, da geschah es. Vom obersten Zimmer aus konnte man über die Grenzmauer und bis tief hinein in die kitschige Tiefebene sehen. Und was die Absurdistaner da zu sehen bekamen: Bunte Regenbogen, denen doch die schönste Farbe, das alles verschluckende Schwarz fehlte, das in Absurdistan neben strahlendem Weiß die beliebteste Farbe war. Menschen, die Arm in Arm über kitschig schöne Brücken flanierten und deren Worte so kitschig lieblich waren, dass es jedem Absurdistaner einfach nur absurd erschien. Selbst aus blutenden Wunden sprießten in diesem seltsamen Nachbarland noch Blüten in den kitschigsten Farben.

Als die ersten Absurdistaner anfingen die Mauer niederzureißen, während andere Landsleute sie nächstens wieder aufzubauen versuchten, warfen auch die Kitschistaner durch die entstehenden Löcher neugierige Blicke hinüber in die andere Welt und bald schon verzierten sie die Öffnungen mit kitschigen Bilderrahmen. Kitschig berührt waren sie von den Absurdheiten, die sie sahen. Und so kam es, dass – als die Mauer schon ganz löchrig war – die ersten Touristen das jeweils andere Land besuchten.

Der Zeit der Mauer würde niemand nachtrauern, viel zu aufregend war es, herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten die beiden Völker noch verband, nachdem sie vor Menschen Gedenken durch den Mauerbau getrennt worden waren.