Die regulären abc-Etüden gehen wieder los! Christiane hat die erste Schreibeinladung mit den Worten Bürde, speckig, schieben ausgegeben, garniert mit Illustrationen von Herrn lz. Bürde, was für ein Wort. Da ist die Fantasie kaum noch zu halten 😉 

2018_02.18_1_eins_lz | 365tageasatzaday

Nachdem sein Opa von der Leiter gefallen war, sich die Hüfte gebrochen hatte und bettlägerig geworden war, nahm seine Mutter ohne zu Murren die Bürde auf sich und pflegte ihn – bis zum bitteren Ende, das dann viel rascher kam, als es alle erwartet hatten.

Nun wohnten sie in Opas Villa. Es war tatsächlich eine sehr stattliche Villa und sein absolutes Lieblingszimmer, außer dem eigenen großen Kinderzimmer, war die riesige Bibliothek, mit Büchern bis unter die Decke.

Er hatte Bücher schon immer geliebt und während seine Schulkameraden zu Hause ihre Zeit mit Computerspielen, Chats oder Videos totschlugen, saß er in der Bibliothek und blätterte staunend in all den vergilbten Seiten, die so seltsam muffig rochen.

Um hinaufzureichen an die obersten Regale musste man auf eine schmale Leiter steigen, eben jene, von der Opa gestürzt war, und die seine Mutter seither immer mit einem bösen Blick bedachte, wenn sie das Bücherzimmer (selten genug) betrat, denn was hatte ein 85-jähriger Mann auch in seinem hohen Alter noch so gefährliche Klettertouren zu unternehmen, wo es doch hunderte Bücher auch in sicherer Reichweite vom Boden aus gab!

Er aber liebte diese Leiter, die man quietschend hin und herschieben konnte, denn sie eröffnete ihm noch weitere geheimnisvolle Welten voller verschnörkelter, kaum lesbarer goldener oder schwarzer Lettern auf speckigen Einbänden. Dabei hatte er sie auch entdeckt, die Schuhschachtel hinter einer Bibelausgabe aus dem 15. Jahrhundert, ganz oben im letzten Regal, in der sich Hefte befanden, wie er sie noch nie gesehen hatte.

Nackte Frauen, aber nicht so wie in den Bildern, die seine Altersgenossen ihm manchmal aufs Handy schickten. Nein, die Frauen darin sahen alle aus wie Damen, hatten nichts an als verrückte Hüte, Blumen oder Krawatten, sodass man nur erahnen konnte, was sich dahinter befand.

Bald schon brachte er erstmals in seinem jungen Leben Schulfreunde mit nach Hause und gemeinsam verschwanden die Jungen für Stunden in der Bibliothek – zur Freude seiner Eltern.

„Endlich hat er Freunde und noch dazu auch solche Leseratten!“ erzählte seine Mutter stolz allen, die sie traf und lachte aus frohem Herzen über ihren wunderbaren Sohn.