„So willst du aus dem Haus gehen?“

„Wie bitte?!“ Genervt drehe ich mich um und prüfe mein Spiegelbild noch einmal. Wenn ich ohnedies in Eile und schon fast bei der Tür draußen bin, habe ich Kommentare dieser Art am allerliebsten.

„Ich frag‘ ja nur ….“

„Was gibt es denn, bitte schön, daran auszusetzen, wie ich aussehe?“ frage ich noch gereizter, weil  ich für „nur so“ dahergesagte Fragen morgens vor der Arbeit wirklich keine Zeit habe. Und Lust auf eine Unterhaltung habe ich eigentlich frühestens nach dem ersten Kaffee im Büro.

„Ich wundere mich nur …“

Jetzt reicht es mir aber endgültig: „WAS?! WAS WILLST DU?!“ brülle ich mein Spiegelbild ungeduldig an. Es ist kein besonders schöner Anblick, sich selbst vor Wut schäumend zu sehen. Im nächsten Moment schon bereue ich, die Beherrschung verloren zu haben.  Als Kontrollfreak tut jeder Kontrollverlust weh. Manchmal öffnen sich dabei Schleusen, hinter denen sich so viel aufgestaut hat, dass alles einer Sturzflut gleich herausströmt.

Du musst mich ja nicht gleich so anschreien“ blafft der Spiegel beleidigt zurück. Wo er Recht hat, hat er Recht. Schreien ist immer ein schlechtes Zeichen in einer Kommunikation. Ich räuspere mich, atme tief durch und versuche mit äußerster Gelassenheit zu sprechen: „Kannst du mir bitte sagen, was nicht passt?“

„Ach nein, es scheint doch alles bestens zu passen an dir.“

Ich muss lächeln: „Danke!“ Es ist selten genug, dass mir mein Spiegel Komplimente macht. Meistens schweigt er sich ja aus. Zum Glück. Besonders unmittelbar nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen bin ich ihm dankbar dafür, dass er das nach dem Motto „Augen zu und durch“ still über sich ergehen lässt. Aber heute hat er offenbar etwas auf dem Herzen. Dabei bezweifle ich eigentlich, dass Spiegel ein Herz haben. Schon gar nicht am rechten Fleck. Oder erst recht: Rechts, statt links – ist ja alles gespiegelt. Ich grinse vor mich hin bei der Vorstellung.

Schön, dass du das als Kompliment auffasst…

Das hat gesessen. Ich spüre, wie es in mir drin brodelt.  Während ich nach Worten suche fährt plapperte der Spiegel fröhlich weiter: „Ich hatte ja gehört, da wäre noch mehr…

Die kryptische Herumdruckserei nervt. „Wenn du mir nicht sofort sagst, was du eigentlich sagen willst, gehe ich!“ drohe ich dem Spiegel und sehe dabei doch nur mir selbst in die Augen. So eine Unterhaltung mit einem sprechenden Spiegel ist wirklich eigenartig.

Na gut, also  …

Ich glaube, ein unterdrücktes Lachen zu hören.

Ich habe gehört, äh, na ja,  …“

Der Spiegel räuspert sich. „Du sollst obenrum ja XXL-mäßig ausgestattet sein

Ich sehe reflexartig an mir herunter. Nichts Außergewöhnliches festzustellen. Außerdem finde ich Bemerkung sexistisch und bin selbstverständlich empört. Ob ich bei Rückgabe des Spiegels wohl noch den vollen Kaufpreis zurückbekäme? Vielleicht sollte ich ins Treffen führen, dass er unverschämt und frauenverachtend ist? Nein, besser nicht. Das würde seinen Wert wohl eher schmälern.

„Wie kommst du auf so einen Blödsinn? Du kennst mich doch ohnedies besser als mir lieb ist?“ frage ich dann und stelle die Tasche auf das Kästchen vor dem Spiegel. Das muss jetzt wirklich geklärt werden, oder die Betaversion des sprechenden Spiegels ist für mich Geschichte.

Weißt du, ich habe Verwandte im Schwimmbad …“ erklärt mir der Spiegel daraufhin und mir schwant nichts Gutes. „Die haben neulich gehört, als deine Tochter zu dir in der Garderobe sagte: „Mama, du hast die dickste Brust!“

„Aber, sie ist doch erst vier!“ rufe ich aus. „Für sie bin ich sowieso die Größte. Das war doch natürlich nur so ein Kindergerede, und es war dort schon peinlich genug! Du musst  jetzt nicht auch noch damit anfangen!“ Ich schnappe mir meine Tasche und rausche ab.

Ganz ohne XXL und Gott sei Dank auch ohne die neugierig abmessenden Blicke und hinter Spindtüren plötzlich zahlreich hervorlugenden Köpfe der anderen Badegäste.


Ein Beitrag zum Story Samstag von Tante Tex, co-inspiriert durch meine kleine E und ihre Eigenart, in der Öffentlichkeit Dinge (an meinem Körper) zu kommentieren, über die sie zu Hause nie ein Wort verliert.

storysamstag_1