Am letzten Tag des vergangenen Jahres wurden uns von Tante Tex zum Story-Samstag Vorsätze vorgesetzt. Vielen Dank dafür, aber was nun tun damit?

Einpacken, nach Hause tragen und ins Regal zu den anderen Vorsätzen längst vergangener neuer Jahre stellen? Das wäre möglich. Immerhin bietet so ein kurioses Tät-ich-nur-Kabinett die Chance, nie ergriffene Chancen wehmütig zu betrachten.

Der Vorsatz als Chance. Vielleicht. Vielleicht aber auch der Vorsatz als Chimäre, als Hirngespinst.

Während Gespinste in meinem Hirn sofort märchenhafte Bilder von Spinnrädern, alten Frauen und vergifteten Spindeln bis hin zu riesigen Spinnennetzen (á la Harry Potter) evozieren, zählt der Duden auch Netzwerke und einen „endlosen Faden“ auf, wenn man unter Gespinst nachschlägt.

Nachschlagen – das sei aus pädagogischen Gründen kurz eingeworfen – ist nur bei Wörtern erlaubt, nicht bei anderen Menschen oder bei Tieren und schon gar nicht bei kleinen Schwestern! *räusper* Wörter hingegen sind Druck gewohnt (haha!).

Die Vorstellung eines endlosen Fadens ist jedenfalls eine ausgesprochen spannende. [Und mein Vorsatz, gelegentlich Wortwitze einzubauen, ist somit schon übererfüllt.] Wie ein endloser Faden ziehen sich manche Vorsätze von Jahr zu Jahr durch das Leben und ist er auch nicht rot, so stößt man doch immer wieder auf ihn, stolpert förmlich darüber und denkt sich, beim mühsamen Aufrappeln, man sollte sich selbst an der angeschlagenen Nase nehmen, um ihm endlich zu folgen. Zum Beispiel dem Vorsatz, die Zeit nicht mit Banalem zu verplempern, „carpe diem“-mäßig jeden Tag voll auszuschöpfen (die Verkörperung eines John Keatings durch einen großartigen Robin Williams vor dem inneren Auge). Und dann lehnt man sich im Schaukelstuhl zurück und vertagträumt das, was vom Tage übrig bleibt, mit vermessenen Ideen davon, was man alles tun könnte, sollte, müsste – bevor es irgendwann zu spät ist.

Vorsätze, Rückschläge, Nachschläge.

Was hat das nun alles mit Vorsätzen zu tun?

Tante Tex hat uns die Vorsätze nicht als solche mitgegeben, sondern leeren Hüllen gleich. Hüllen, die wir über unsere Bücher stülpen sollen, so wie früher zu Schulbeginn [Kennt das noch wer? Machen das Schüler heute noch?]. Über Bücher, die wir selbst nach Belieben mit Inhalten füllen.

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Schlagen wir es also auf [die deutsche Sprache scheint mir heute recht schlagkräftig, aber ich will gerne versuchen, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen], so ein Mischwesen aus Poesie-Album und Tagebuch: Sprüche und Gedichte, wie wir uns die Zukunft ausmalen. Ganz persönliche Gedanken darüber, wie unsere Träume an den Ecken und Kanten der Gegenwart zerplatzt sind oder erst Auftrieb bekommen haben.

Vorsatz kommt laut Duden vermutlich von propositum – Vorhaben, Vorschlag [alle guten Dinge sind 3 bis 4 oder mehr: nachschlagen, aufschlagen, anschlagen, vorschlagen]. Im Englischen heißt es ja noch immer to propose. Und Lateingeplagte leiern herunter: pono, ponis, ponere, posui, positum.

Während pro bono gewöhnlich etwas Gutes ist, zumindest löblich (da es nicht immer nur aus hehren Moralvorstellungen, sondern gelegentlich auch aus sehr egoistischen Prestigegründen oder Vernetzungsgedanken getan wird) ist propono das, was vor uns hingestellt, in Aussicht gestellt wird. Damit wären wir wieder bei den herumstehenden Vorsätzen angekommen:

Blank geputzt im Regal, leuchtend schön, verführerisch. Da stehen sie, unsere Büchlein voller Vorsätze. Langsam und fast unmerklich setzen sie Staub an, während wir – noch immer voller Tatendrang – sehnsüchtige Blicke auf sie werfen, und ihnen in Gedanken zuflüstern: „Morgen, gleich morgen nehme ich euch aus dem Regal und hauche euch Leben ein, erwecke euch aus dem Dornröschenschlaf. Ganz sicher. Versprochen!“ Im Sommer kann man die goldenen Überschriften auf den Buchrücken schon gar nicht mehr lesen und wenn die Tage wieder kürzer werden, sehen wir sie gar nicht mehr, blind aus Gewohnheit gegenüber dem, was wir irgendwann vorhatten. Die Büchlein aber stehen da, so wie am Anfang des Jahres, still, stumm, erwartungsvoll, und längst verstaubt im Regal. Und nächstes Silvester nehmen wir sie dann wieder einmal heraus, pusten die dicke Staubschicht weg, husten ein paar Mal effektvoll und beteuern: „Dieses Jahr wird’s was. Ganz sicher. Versprochen!

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