Ich habe eine Unart. Genau genommen habe ich vermutlich mehr als eine Unart und würde man meinen Mann oder meine Schwester fragen, fiele es den beiden nicht schwer, eine Liste an Dingen zu nennen, die ich an mir ändern sollte. Zum Glück kennen Sie weder meinen Mann noch meine Schwester, daher kann diese unselige Befragung unterbleiben.

Kleine Unarten machen uns menschlich, manche machen uns sogar liebenswert. Solche Sätze werden gerne gehört, weil sie die Begründung dafür liefern, warum wir uns nicht ändern oder anpassen müssen. Tatsächlich sind es aber wirklich die kleinen Eigenarten, die mir am meisten fehlen, wenn ich an liebe Menschen denke, die ich für immer oder zumindest vorläufig aus den Augen verloren habe. Gerade das, was mich innerlich auf die Palme brachte, was mich wieder und wieder störte am anderen, das vermisse ich besonders.

Nun, meine Unart ist es, Post-Its, Einkaufszettel und Notizen im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Tür und Angel zu schreiben. Das Stück Papier schnell an den Türrahmen gehalten und drauf gekritzelt, damit ich den Geistesblitz nur ja nicht vergesse. Dass der Notizzettel dann nur in den seltensten Fällen auch seinen Weg in meine Tasche findet und somit zur Hand wäre, wenn ich ihn bräuchte, das ist wieder eine andere Geschichte.

Warum ich das Papier nicht einfach auf den Tisch lege? Nun, entweder habe ich die glorreiche Eingebung im Weggehen und möchte weder mit den bereits angezogenen Straßenschuhen zurück ins Zimmer gehen (immerhin bin ich diejenige, die dann den Boden kehren und wischen müsste), noch will ich die Schuhe wieder ausziehen, weil ich es ohnedies schon eilig habe. Oder es fällt mir etwas während des Essens ein. Da  der Tisch noch nicht abgeräumt und sauber ist, der Türrahmen hinter mir aber gewöhnlich dank seiner vertikalen Anordnung von Fettflecken und Essensresten weitgehend verschont bleibt, ziehe ich ihn als Schreibunterlage vor.

Diese Art des Schreibens im Stehen ist vielleicht noch nicht einmal eine Unart, aber auf jeden Fall nicht sonderlich geschickt, wenn man Kinder hat. Denn was sehen die Kinder? Die Mama schreibt an der Wand.

Unart ist in dieser Hinsicht übrigens ein interessantes Wort: Art – Kunst (ein Wort das sich von „kennen, wissen“ herleitet). Unart – dann wohl eine Art Antikunst?

Vor mehr als 30.000 Jahren haben Menschen begonnen Wände zu bemalen. In Pech Merle legte vor mehr als 20.000 Jahren ein Mensch seine Hand an die Felswand einer Höhle und im Jahr 2016 können wir sie noch immer bewundern (die Hand und die Felswand drum herum).

Ich kann so eine Wandhandzeichnung nun auch zu Hause bewundern. Archäologie zum Anfassen und zum erfolglosen Abschrubben, schließlich zum Abkratzen (nicht im übertragenen Sinne) und Drüberstreichen.

Darum merke:

Wenn sich das Kind schon alleine beschäftigen kann und man nichts von ihm hört, durchatmen, die Stille genießen und nach spätestens 5 Sekunden Nachschau halten, womit es sich gerade künstlerisch betätigt.