Die Welt hatte sich verändert.

Begonnen hatte es mit der Bloggerwelt.

Die Mama-Bloggerinnen ließen alle hinter sich: Die Food-Blogs, die Mode-Blogs, die Reise-Blogs und zuletzt sogar die Bücher-Blogs. Die Follower klickten zu tausenden die Seiten der Mamas an, die Einblicke in die schier unglaublichen Leben von Eltern gaben. Bei Bloggertreffen blieben die Schreibenden nicht mehr unter sich. Wilde Camps kreischender Fans mussten bereits Tage vor der Eröffnung des Events geräumt werden, um den völligen Verkehrskollaps zu verhindern. Millionen Erwachsene machten sich auf den Weg, um ihre Stars einmal in natura zu sehen, ein paar Wortfetzen mithören zu können, wenn sich die Mamas untereinander unterhielten, die dunklen Ringe unter ihren Augen selbst gesehen zu haben, eine Falte der schlapprigen Umstandskleidung vielleicht sogar selbst berühren zu können.

Mit jedem neuen Beitrag wurden weitere Tausend in den Bann gezogen. Und die Zahl der Beiträge pro Minute explodierte. Mamas hier, Mamas da, überall Mamas im Netz. Es drehte sich alles nur noch um die Befindlichkeiten der Frauen mit Kindern. Die Kleinkind-Mamas schrieben sich genauso den Frust von der Seele wie die Mütter pubertierender Teenager. Und die kinderlose Welt litt mit. Doch dann …

… mit einem Schlag wurde alles anders. Die Massenhysterien sollten aufhören, die regelmäßig ausbrachen und das gesamte Wirtschaftsleben lahm legten, wenn wieder einmal eine der berühmtesten bloggenden Mütter – es tut nichts zur Sache, aber sagen wir ihr Name sei Mama – eine schlaflose Nacht gehabt hatte oder gar selbst an einem aus dem Kindergarten eingeschleppten Virus laborierte. Die Weltregierung entschied, dass es an der Zeit war, dem Spuk ein Ende zu setzen. Und so kam es, dass einstimmig (also vom Weltpräsidenten höchstpersönlich) beschlossen wurde, die Menschheit solle sich von nun an nicht mehr über Kinder vermehren, sondern nur noch über das Klonen bereits erwachsener Menschen. Die natürliche Reproduktion wurde mit sofortiger Wirkung verboten. Casting-Shows für die besten Modelle des Klonprojekts liefen auf der ganzen Welt an. Längst waren alle Medien, Konzerne und Regierungen gleichgeschaltet. Zu viel Auswahl verwirrt nur. Länder gab es nur noch in den Geschichtsbüchern. Die Welt hieß es überall und sie sollte nun kinderfrei werden.

Die Mama-Bloggerinnen stürzten in Sinnkrisen, aber es kümmerte niemanden mehr. Blogs waren verboten. Kinder waren ein Auslaufmodell. Die Welt wandte sich den Erwachsenen zu. Schulen wurden zu Klonforschungslabors umgebaut, um die Technologie noch rascher und effizienter zu machen. Spielplätze wurden zu Ruhezonen umgestaltet, in denen absolutes Redeverbot herrschte,  dafür Internet kostenlos in Highspeed verfügbar war und die Weltnachrichten rund um die Uhr öffentlich ausgestrahlt wurden.

Gleiche Information für alle: Fakten statt Fantasie! Ansprachen statt miteinander sprechen!

Es wurde sehr ernst und leise auf der Welt.

Und was geschah mit jenen, die damals Kinder und Jugendliche waren? Sie wurden auf eine große Reise geschickt – in die Nimmerwelt. Diese war natürlich nimmer auf Der Welt, sondern weit draußen im All.

Woher ich das alles weiß? Ich bin der Junge am Fenster auf diesem Foto.

Window von Dmitry Bogoljubov

Es wurde aufgenommen, an dem Tag als wir Die Welt verließen, vor rund 300 Jahren.

Ja, wir haben Nimmerwelt gefunden, obwohl die Erwachsenen selbst nicht daran geglaubt hatten. Ich bin seither keinen Tag gealtert. Und soll ich euch noch etwas verraten? Das Klon-Projekt funktionierte nicht. Die Welt ist nun wieder menschenleer und wartet auf die Rückkehr der Kinder – aber noch ist es nicht so weit.


Ein Beitrag zum Story-Samstag von Tante Tex