Der Tipp

Ein Lieferant hatte mir den Tipp gegeben: In einer mittelgroßen deutschen Stadt befände sich das geheime Krefelder Zentrum für Raketenforschung. Als Studentin der online verfügbaren Populärwissenschaften und Hobbydetektivin in spe war mir sofort klar, dass es sich bei dem Kürzel „Krefeld“ um einen verschlüsselten Hinweis auf die Raketenantriebsart (geKREuzte Irgendwas-FELDer) handeln musste.

Wochenlang grübelte ich darüber, wie ich mit diesen spärlichen Informationen wohl den Ort des Forschungszentrums finden könnte, bis ich auf die geniale Idee verfiel, die Nachricht des bärtigen Lieferanten noch einmal zur Hand zur nehmen und gründlich nach weiteren Hinweisen zu suchen. 3 Sekunden später lüftete sich der Schleier dieser dunklen Geschichte¹ und es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Krefeld war ein Ort in Deutschland und der Sitz des Raketenforschungszentrums!

Meine Suche hatte ein Ende. Oder auch nicht. Denn wie so vieles im Leben brauchte diese Geschichte mehr als ein Ende. Noch wusste ich ja nicht alles darüber, was sich dort tatsächlich abspielte, in Krefeld, im Verborgenen.

Marsbesiedlungspläne? Fein, dort wird es wenigstens nicht so heiß und bei zwei Monden bin ich schon auf die dreidimensionale Mondkalender gespannt.

Ich wollte aber doch diesen Investigativ-Journalisten Rosenbaum selbst treffen, um noch mehr Details über seine Recherchen zu bekommen und mir Zugang zum Zentrum zu verschaffen, denn ich war mir von Anfang an sicher, dass ich einen wesentlichen Beitrag zur Raketenforschung leisten konnte. Der Gipfel menschlicher Weisheit, Form geworden, war gegenwärtig in meinem Besitz. Ich musste das Ding nur an den Ort seiner Bestimmung bringen.

Den Lieferanten nochmals zu kontaktieren erschien mir jedoch nicht als die beste Lösung. Ich erfahre schließlich lieber alles aus zweiter Hand, nicht aus erster, weil es  doch immer heißt: Doppelt hält besser, und zwei Hände sind nun einmal doppelt so viele wie eine.

Mein Koffer

Ich buchte also Flug und Zugfahrt Wien – Krefeld und packte die notwendigsten Dinge ein:

  • Meine selbstentworfene Abhörantenne musste ich natürlich so unauffällig wie möglich durch die Sicherheitskontrollen am Flughafen schleusen. Also zerlegte ich sie in ihre Bestandteile: einen  Nasenhaartrimmer, der verbunden mit der Steckdose, die Spannung liefern würde, einem 2cm langen Metallzylinder, den ich vom Druckkochtopf abgeschraubt hatte und der als Sendersuchregler dienen sollte, und natürlich der Volleyball-Schläger, den ich selbst aus dem 7-er Eisen (Golfschläger) meines Mannes und einem (darauf gepfropften) Volleyball konstruiert hatte. Der zerschnittene Ball sollte als Antenne wohl gute Dienste leisten. Das sagte mir mein untrügliches Technikgespür.
  • Um meine Tarnung als arglose Hausfrau mit Hang zur crazy catlady perfekt hinzubekommen, packte ich einen H&M Katalog und eine Katzentür ein. Das sollte als Ablenkung von meiner tatsächlichen Identität und meinem selbstauferlegten Auftrag genügen.
  • Da ich mein Handy nicht mitnehmen wollte, um keine „electrical trails“ beim Geheimdienst zu hinterlassen, steckte ich noch eine Landkarte von Tasmanien dazu, die ich von meiner ersten ausländischen Brieffreundin, einem Mädchen aus Tasmanien geschenkt bekommen hatte, als ich 13 Jahre alt war. Ohne Google Maps und Navi fühlte ich mich so verloren. Also erschien es mir ratsam, besser irgendeine Karte mitzunehmen als ganz planlos zu sein. Nur dumm, dass Krefeld darauf nicht zu finden war, aber das würde ich mit meinem fehlenden Orientierungssinn schon wett machen.
  • Dann war da noch die Sache mit dem Rosenbaum. Um ihm eine Freude zu machen, hatte ich ein Sackerl Pferdemist-Dünger gekauft, der Rosen angeblich besonders gut wachsen lässt. Rosonsko Rosenbaum – das ist doch ganz sicher ein Freizeitgärtner aus Leidenschaft, sagte ich mir. Unglücklicherweise stank das Zeug abscheulich. Zur Übertünchung dieser olifaktorischen Zumutung stopfte ich eine Duftkerze in das Düngersackerl. Lavendel tötet alles ab, auf jeden Fall die Geruchsnerven.
  • Noch mein geheimnisvolles Kästchen mit dem Ding, das die Raketenforschung weltweit revolutionieren würde, und los ging’s.

Die Reise

Ich muss anmerken, dass sich der Sicherheitscheck als weitaus schwieriger gestaltete als ich befürchtet hatte. Erst als ich gestand, dass ich in geheimer Mission zur Erforschung des geheimen Krefelder Zentrums für Raketenforschung unterwegs war, waren die Mitarbeiter des Flughafens restlos davon überzeugt, dass ich tatsächlich harmlos, weil völlig verrückt wäre und ließen mich samt meiner Tasche passieren. Sämtlichen Beteuerungen, dass ich nur die Wahrheit sagen würde, verhallten wirkungslos. Die Welt will betrogen sein!

In Krefeld endlich angekommen, bemerkte ich erst, dass ich ganz ohne eine exakte Adresse unterwegs war. Ich beglückwünschte mich zunächst, denn in so einem Fall hätte mir auch das beste Navi nicht weiterhelfen können. Der Verzicht auf das Handy war demnach zu  verschmerzen. Und Krefeld ist ja mehr ein Dorf im Vergleich zu internationalen Metropolen. Es würde wohl nicht so schwer sein, ein auffällig unauffälliges Gebäude ausfindig zu machen.

Bevor ich zur Tat schreiten und wie beiläufig vor dem Forschungszentrum herumspazieren konnte, bis ich Rosenbaum treffen würde, musste ich nur noch das Forschungszentrum finden. Mein absoluter Top-Plan harrte somit der Ausführung. Aber jeder, der schon einmal billige Romane gelesen oder kitschige Schnulzen im Fernsehen gesehen hat, weiß, dass notwendige Zufälle für Happy Ends auf jeden Fall eintreten. Ich spazierte also frisch draus los, durch die Straßen von Krefeld.

Und dann passierte es in bester Hollywood-Manier: Ich stand plötzlich vor einer Burg, die auffälliger nicht sein konnte. Das war das Gebäude nach dem ich gesucht hatte! Ich war mir sicher.

Im Inneren dieser Burg musste es einen geheimen Zugang zu dem geheimen Zentrum für Raketenforschung geben. Erschöpft und glücklich ließ ich mich auf eine Parkbank sinken, die gerade ein junger Mann, etwa 30 Jahre alt, frei gemacht hatte. Es war Zeit für eine kurze Pause. Plötzlich kam der Mann wieder zurück und setzte sich wortlos direkt neben mich. Nervös nestelte ich am Reißverschluß meiner Tasche. Ob er das war?

Die Begegnung

Rosenbaum?“frage ich vorsichtig und sah den Fremden von der Seite an. Er reagierte nicht. Ich räusperte mich und wiederholte „Rosenbaum?“ Der Fremde schaute mich überrascht an und meinte: „Die Rosenbeete sind im Hof der Vorburg. Soweit wäre ich einmal schon fast gekommen, aber ich habe noch keine Erlaubnis zum Eintritt bekommen.

Nun war ich verwirrt. Erlaubnis? Wessen Erlaubnis? Ein Museum darf man gewöhnlich mit einem gültigen Ticket betreten, also so schwer konnte es doch wohl nicht sein, Einlass zu erhalten. „Sie sind nicht Herr Rosenbaum, oder?

Der Fremde starrte mich erneut an und zögerte einen Augenblick mit seiner Antwort. Dann streckte er mir die Hand entgegen und meinte: „Nein, nein. Ich bin Sepp…

Vor Schreck über den Namen fiel ich ihm ins Wort „Seppo?!

Das war doch der Name des Lieferanten. Wie kam es, dass dieser nun ausgerechnet hier … Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich, doch da hörte ich die Stimme des jungen Mannes sagen: „Nein, nicht Seppo. Sepp, wie Josef. Eigentlich werde ich meistens K. genannt.

Ka oder Car? War das nicht eher ein Auto? Aber es stand mir nicht zu, über die Namen anderer Leute zu urteilen. Dazu waren schließlich deren Eltern da.

Ach so“ murmelte ich enttäuscht. „Sie sehen mehr aus wie ein Franz.“

Das war nun wirklich unpassend gewesen. Um die peinliche Stille zu überbrücken, fügte ich schnell hinzu: „Mein Name sei Mama!„- „Mhm. Ich warte hier nur …“ sagte K., der offenbar das Gefühl hatte, sein Platznehmen auf der Bank erklären zu müssen.

Wie lange warten sie hier denn schon?“ fragte ich und wunderte mich eigentlich vor allem, worauf er warten würde, aber zu viel Direktheit schreckt meistens ab. Durch etwas Zurückhaltung erfährt man oft mehr.

Ach, gefühlt so an die 100 Jahre“ sagte er leicht verzweifelt mit einem Blick auf seine Armbanduhr, verriet aber nicht mehr.

So lange habe ich nicht Zeit. Ich muss heute wieder zurück nach Hause, ich habe nämlich gar kein Hotel gebucht hier.“ antwortete ich und sah mich suchend nach anderen Passanten um. Woran würde ich Rosenbaum bloß erkennen? Ein Aufdeckungsjournalist würde sich wohl besonders unauffällig oder besonders auffällig benehmen. Dementsprechend einfach sollte es sein, ihn zu erkennen. Kinder, Frauen und Greise mit Gehhilfen schloss ich aus. Verkleidung? So weit würde er ja vermutlich nicht gehen.

Schweigend saßen wir nebeneinander. Ich bastelte ein wenig an meiner Abhörantenne herum. K. sah mir wortlos dabei zu, ohne Fragen zu stellen. Enttäuscht musste ich erkennen, dass der Volleyballschläger keinerlei verstärkende Wirkung auf die Gespräche der Menschen rund um mich hatte, wenn er nicht an den Strom angeschlossen war. Doch Steckdose gab es hier im Garten keine. Sehr ärgerlich. Der Nasentrimmer kam nicht zum Einsatz. Die Stunden vergingen. Ich wurde hungrig und warf meine wertlose Konstruktion schließlich resigniert in den Koffer zurück.

Die Erkenntnis

Ausgerechnet jetzt fing K. wieder zu reden an. Er erzählte mir davon, dass er  genau an seinem 30. Geburtstag verhaftet worden war, aber auf freiem Fuß herumlaufen durfte (Fußfessel dachte ich sofort und schaute auf seine Knöchel, konnte aber nichts erkennen), um auf den Ausgang seines Prozesses zu warten. Er sprach von der großen Macht der Frauen und davon, dass alle Menschen unschuldig wären, auch er.² Ich war vor allem hungrig und längst nicht mehr interessiert an seiner persönlichen Geschichte, aber höflicherweise nickte ich eifrig und suchte nach einem passenden Moment, um aufzustehen und wegzugehen. Mein Magen knurrte schrecklich und das Gelabere des jungen Mannes ärgerte mich zunehmend. Da beendete er seinen Roman endlich mit der Frage:

Wie kommt es, dass niemand außer mir Einlass verlangt hat?“²’

In diesem Moment erkannte ich, dass mich das Schicksal nicht zu Rosenbaum führen wollte, sondern zu ihm, Sepp oder K., wie er genannt wurde. Ich öffnete nochmals meinen Koffer, nahm das geheimnisvolle Kästchen heraus und überreichte K. den roten funktionslosen Startknopf, der sich überall problemlos annähen (oder aufkleben) ließ und den ich mitgebracht hatte, um alle zukünftigen Raketenstarts im letzten Moment zu sabotieren, sodass die Mächtigen der Welt die Möglichkeit erhalten würden, ihre Handlung zu überdenken. Der Zweck des Knopfs war aber offenbar nicht, den Weltfrieden herbeizuführen, wie ich angenommen hatte, sondern vielmehr die Rettung einer einzigen Seele!

„K., nimm diesen Knopf und betätige ihn dann, wenn du denkst, es ginge nicht mehr weiter und alles wäre verloren. Es wird sich vielleicht nichts dadurch ändern, aber du setzt eine aktive Handlung, statt dein Schicksal passiv hinzunehmen.

Mit diesen Worten ließ ich K. auf der Parkbank alleine zurück. Im Weggehen hörte ich ihn murmeln „Ich nehme es nur an, damit Du nichts glaubst, etwas versäumt zu haben„.²’’

Was für ein Sonderling“ schmunzelte ich und ging aus dem Park auf die Straße hinaus.

Epilog

In einem kleinen Buchladen namens „Weltliteratur“ wollte ich mir noch rasch eine Lektüre für die Heimreise kaufen. Ich sah die vollgestopften Regale durch, ein Klassiker neben dem anderen – nach Autoren alphabetisch geordnet. Was sollte ich nur auswählen? Als ich zum Buchstaben K kam, fiel mir ein, dass ich in der Schule gerne Kafka gelesen hatte, aber hier konnte ich nichts von ihm finden. „Entschuldigung. Haben Sie vielleicht ‚Der Prozess‘ von Kafka?“ fragte ich den greisen Ladeninhaber. Der schüttelte ratlos den Kopf. „Kafka? Noch nie gehört … Wollen sie vielleicht etwas von Seppo lesen, dem großen Irrelevanzlieferanten? Er wird sehr oft nachgefragt bei uns.

Verwundert verließ ich das Geschäft. Ein Schmetterling kreuzte meinen Weg und ich spürte für einen Augenblick den Hauch seines Flügelschlags. Die Welt erschien mir heute so verändert, aber ich konnte nicht genau sagen, woran das lag.

Fröhlich vor mich hinpfeifend machte ich mich auf in Richtung Bahnhof.

Meine Arbeit hier war getan.


Inspiration: Die Seppo Blog Auszeichung – Runde 3 und ein bisschen Kafka

Umsetzung: M. Mama



¹ Arthur Conan Doyle: Sherlock Holmes – Gesammelte Werke. Köln, Anaconda Verlag, 2012 (e-book)

 ² und ²’ und ²’’ Franz Kafka: Der Proceß. Frankfurt, Fischer Taschenbuch Verlag, 1994